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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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dem
gebratenen Ochsen am Spieß und reichlich Freibier am Lagerfeuer habe ich
offiziell alle in die Weihnachtsferien verabschiedet und ihnen ein frohes neues
Jahr gewünscht. Die Arbeiten haben bis Dreikönig geruht und begannen erst
wieder am siebten Januar.«
    »Hans
Kiesler war in der arbeitsfreien Zeit nicht zufällig auf der Baustelle und hat
allein weitergearbeitet?« Haderlein hätte es dem Mann nach den Schilderungen
des Barons durchaus zugetraut.
    »Nein, da
muss ich Sie enttäuschen, Herr Kommissar«, erwiderte der Baron sofort. »Hans
Kiesler war sicher nicht auf der Baustelle. Ich habe ihn während der
Weihnachtsferien nicht zu Gesicht bekommen, aber am ersten offiziellen
Arbeitstag des Jahres stand sein Laster wieder am Waldrand, und er hat sich mit
dem Gaskocher sein Frühstück gebrutzelt. Damals fiel mir allerdings auf, dass
er ein wenig bedrückt wirkte. Seine sprichwörtliche gute Laune war ihm
abhandengekommen, aber vielleicht hatte er auch nur nicht so glückliche Feiertage
verlebt wie erhofft – ich weiß es nicht. Auch aufgrund dieses Umstandes
habe ich Hans Kiesler dann mein Gartenhaus angeboten. Ich konnte das alles
einfach nicht mehr mit ansehen.«
    »Aha«,
Haderlein wurde hellhörig, »und ist er sofort auf Ihr Angebot eingegangen, oder
war ihm ein Haus mit Ofen und abschließbarer Tür zu feudal?«
    Der Baron
lachte kurz auf. »Sie werden es nicht glauben, Herr Kommissar, aber dieser
Gedanke ging mir damals auch durch den Kopf. Hans Kiesler musste tatsächlich
einen Tag lang überlegen, bevor er eingewilligt hat und zwei Tage später
eingezogen ist.«
    »Schön«,
kommentierte Haderlein das Gesagte, »sehr schön, aber wie kam es dann zu diesem
merkwürdigen Stress wegen der Botanik? Ich glaube, ich habe nicht ganz
verstanden, was der Kollege Schmitt damit gemeint hat.«
    »Nun«,
sagte der Baron ungewöhnlich demütig, »also, wenn ich ehrlich bin, dann habe
ich da wohl etwas übertrieben.«
    »Wie?
Reue und Duldsamkeit aus Ihrem Munde, Herr Baron, was ist los?«, gab Haderlein
mit leicht zynischem Zungenschlag zum Besten.
    »Ja,
tatsächlich, Herr Kommissar, Asche auf mein Haupt.« Wieder musste der Baron
milde lächeln. »Wissen Sie, es gab eine Abmachung zwischen Hans und mir. Er
musste keinerlei Miete an mich zahlen, nicht einmal die Nebenkosten wollte ich
von ihm haben, allerdings hätte ich es nett gefunden, wenn er stattdessen den
Rasen und die sonstige Flora gepflegt hätte. Aber Hans Kiesler stand auf dem
Standpunkt, dass alles am besten so wachsen soll, wie die Natur es will. Mähen
sei nicht ökologisch, hat er gesagt. Das hat mich schon sehr verärgert,
schließlich zähle ich mich zu den Verfechtern des englischen
Kurzrasenschnittes, Sie verstehen?« Wieder blickte er zum Kommissar in der
Hoffnung, von einem Mitglied seiner Altersklasse ein Mindestmaß an Zustimmung
zu erfahren. Doch Haderlein wartete nur auf den Fortgang der Geschichte.
    »Nun«,
fuhr der Baron daraufhin leicht enttäuscht fort, »eskaliert ist die
Meinungsverschiedenheit vor etwa zwei Wochen, als ich Hans gebeten habe, doch
etwas gegen die Biber zu unternehmen. Ich selbst habe den Viechern ja bereits
zwei Mal die ganze Biberburg weggebaggert, aber das hat die penetranten Nager
überhaupt nicht interessiert. Zwei Tage später war die Burg wieder da und mit
ihr auch diese gigantische Überschwemmung. Außerdem fehlten mir drei junge
Kirschbäumchen ›Cherrygold‹, die jetzt wohl als Fundament des Staudammes
herhalten müssen.« Der Baron setzte eine verbitterte Miene auf, und Haderlein
musste sich mühsam ein Grinsen verkneifen.
    »Aber
mein kostenloser Mieter Hans Kiesler hielt es nicht einmal für nötig, mir bei
dem Kampf gegen die Biber unter die Arme zu greifen«, brummte der Baron
missmutig und einsichtslos. »Kurz nach dieser Auseinandersetzung vor zwei
Wochen war Hans plötzlich verschwunden. Sein Laster stand zwar noch auf dem
Parkplatz am Ortseingang, aber auf der Baustelle tauchte er nicht mehr auf.
Hier übrigens auch nicht. Und dieser Umstand brachte mich allmählich auf die
Palme, weil das Gras auf dem Grundstück des Gartenhäuschens dschungelartige –«
    »Schon
klar«, unterbrach ihn Haderlein. »Ich habe verstanden. Noch eine letzte Frage:
Wie würden Sie das Äußere von Hans Kiesler beschreiben?«
    Baron von
Rotenhenne überlegte. »Nun, er ist circa eins neunzig groß und um die dreißig
Jahre alt, würde ich sagen. Sehr sportlich und muskulös gebaut. Er hat braune,
wellige Haare,

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