Der Colibri-Effekt
Haushälterin trafen sich. Nach einer kurzen Pause
antwortete Helga an seiner statt. »Das müsste vor ziemlich genau zehn Tagen
gewesen sein«, sagte sie. »Hans saß so wie Sie jetzt mit uns zum Abendessen an diesem
Tisch. Am nächsten Morgen war er dann verschwunden, und wir haben ihn seitdem
nicht mehr gesehen.«
Der Baron
nickte beipflichtend. »Ja, so war es. Nach diesem Abend war er plötzlich
verschwunden.«
»Und
worüber wurde an diesem Abend geredet?«, schaltete sich nun Lagerfeld ins
Gespräch ein.
Der Baron
zog die Augenbrauen hoch, und eine steile Falte erschien mittig über seiner
Nasenwurzel. »Nun, wir wollten mit ihm über das Gartenhaus und die Pflege des
Grundstücks reden. Ich lege nun einmal größten Wert auf das Äußere meiner
Liegenschaften. Aber Hans war ein Absolutist, ein grüner Fundi, was dieses
Thema anbelangte. Vor allem diese Biber hatten es ihm angetan, aber das wissen
Sie ja bereits. Vielleicht hat er diese Biester ja extra noch angelockt, um mich
zu ärgern.«
»Ich
finde Biber eigentlich gar nicht so schlecht«, tappte Lagerfeld zielgenau in
den Fettnapf, der groß und inklusive rotem Warnschild vor ihm gestanden hatte.
Haderlein hätte ihm am liebsten auf der Stelle eine geschallert, aber sein
junger Kollege fuhr bereits fort: »Die Nager waren ja fast ausgestorben, von
daher ist es beinah ein Wunder, dass sie sich nun wieder ansiedeln. Die Tiere
sind bestimmt sehr nützlich in einem Garten, auch wenn man das im ersten Moment
nicht merkt. Und so ein kleiner See ist doch nun überhaupt nicht weiter
schlimm.«
»Wie
bitte?« Der Baron hatte große Mühe, nicht lauthals zu explodieren, während
Haderlein vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre.
Da hatte
er es mühsam geschafft, im Laufe des Tages Gras über die vermaledeite
Bibersache wachsen zu lassen, und jetzt kam dieser Esel von Lagerfeld und fraß
das Gras genüsslich wieder auf.
»Die
Biber sind schuld am Untergang wertvollster Raritäten. Die Obstbäume, die im
Wasser stehen, werden wegen dieses verdammten Biberdammes alle elendig zugrunde
gehen. Und so etwas nennen Sie nützlich? Nennen Sie mir auch nur eine
Kulturpflanze, die im knöcheltiefen Wasser wächst. Nur eine einzige, und Sie
dürfen sich eine beliebige Flasche aus meinem Weinkeller aussuchen.« Wütend sprang
der Baron auf und funkelte Lagerfeld an.
Der blieb
vollkommen ruhig, überlegte kurz und sagte dann, als ob es das
Selbstverständlichste von der ganzen Welt wäre: »Reis. Reis braucht genau die
Bedingungen, die Sie gerade geschildert haben, und ist meines Wissens eine der
am weitesten verbreiteten Kulturpflanzen.«
Dem Baron
blieb die Spucke weg, dann musste er sich setzen. »Reis«, wiederholte er
apathisch.
»Genau.
Sie könnten also der Erste sein, der fränkischen Ökoreis anbaut«, überlegte
Lagerfeld ungerührt weiter. Haderlein versuchte unterdessen seinen Kollegen
durch Tritte unter dem Tisch zum Halten seiner Klappe zu bewegen, mithin
vergeblich: Lagerfeld war in seinem Element – dem Fabulieren.
»Auf der
rot-weißen Verpackung bilden Sie einen der haarigen Gesellen von dort draußen
ab, und auf der Rückseite steht: ›Fränkischer Biberreis, vom Fuße der
Stufenburg‹. Ich wette, der verkauft sich mit der entsprechenden PR besser als jeder Kaviar, Herr Baron.«
Die
Haushälterin hielt schon seit Längerem die Luft an, genauso wie Haderlein in
Vorahnung des Vulkanausbruchs, der umgehend folgen musste, die Augen
geschlossen hatte. Als es still blieb, linste er durch halb geöffnete Lider. Zu
seiner Verblüffung sah er einen lächelnden Baron vor sich, dessen Augen vor Tatendrang
leuchteten.
»Reis
also«, sagte er nachdenklich. »Die Idee ist entweder völlig irre oder visionär,
Herr Schmitt, ich möchte aber eher meinen – sie ist irre. Aber wenn sie
nun doch visionär wäre«, sagte er fast ein wenig entrückt, »ich liebe visionäre
Ideen.« Seine Augen glitten über die Baupläne an den Wänden.
Haderlein
war geschockt. Er verstand die Welt nicht mehr. Hatten sich hier etwa zwei
Irrgläubige getroffen, um aus zwei Minus ein Plus zu fabrizieren?
»Wenn ich
vielleicht vom fränkischen Reisprojekt noch einmal auf Hans Kiesler zu sprechen
kommen könnte«, kam er wieder auf das ursprüngliche Thema zurück, »wie endete
denn dieses Abendessen, wenn ich fragen darf?«
Der Baron
erwachte wie aus einem Traum. Immer noch begeistert blickte er zu Lagerfeld
hinüber, als würde er sofort mit ihm losziehen wollen, um
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