Der Colibri-Effekt

einen schönen Gruß von unserer Baustelle.« Dann machte sie noch ein Foto
von einer frisch gestrichenen Wand, hängte es an die Nachricht und schickte
alles los. Traurig nahm sie wieder den Farbroller in die Hand, um ohne
männlichen Fachbeistand den Rest der Küche zu streichen.
    Lagerfeld
war in seinem Tagesrückblick gerade beim Abzug der Spurensicherung vom Tatort
angelangt, als ihm die Erkenntnis wie Schuppen aus den Haaren fiel. Das Handy
steckte in seiner Jacke. Er hatte seine Jacke nicht in der Kammer vor dem Essen
ausgezogen, und hier im Auto war sie auch nicht. Ganz klar, besagte Jacke lag
noch immer auf der Bank im Garten des Barons. Er hatte sie als Kopfkissen für
sein spontanes Nickerchen missbraucht und dann in der plötzlichen Hektik dort
liegen lassen. Mist! Das bedeutete, er musste jetzt den gleichen Weg noch
einmal zurückfahren und vergeudete durch eigene Dummheit wieder mal wertvolle
Schlafenszeit. Andererseits fiel ihm auch ein großer Stein vom Herzen, da er
jetzt wusste, wo sein teures iPhone abgeblieben war. Mannomann, schimpfte er
innerlich mit sich und wendete am Fuße des Stephansberges, um aus der
Judenstraße hinaus und wieder zurück nach Baunach zu fahren.
    »Was man
nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben«, das hatte schon sein Vater in
früheren Tagen des Öfteren zu ihm gesagt, wenn er seine Bücher in der Schule
vergessen hatte.
    »Und
jetzt sitz ich Ahnungsloser hier in deiner Kneipe und sehe dich quasi zum
ersten Mal«, sagte er sarkastisch.
    Roald
hatte sich alles schweigend und mit verschränkten Armen angehört. Das war
wirklich die unglaublichste Geschichte, die er in seinem ganzen Leben gehört
hatte. Allerdings passte das, was Skipper erzählt hatte, ziemlich genau zu dem,
was er von der ganzen Angelegenheit wusste. Jetzt aber war es an der Zeit, das
zu tun, worum er vor nicht allzu langer Zeit gebeten worden war. Er griff unter
den Tisch und legte ein kleines, in braunes Papier gewickeltes Päckchen auf die
Tischplatte, das er mit seiner rechten Hand zu seinem Gegenüber schob. Skipper
schaute erst das Päckchen und dann ihn fragend an.
    »Für
dich«, sagte Roald in einem Tonfall, als hätte er ihm gerade den Ring für einen
Heiratsantrag überreicht. »Das Päckchen hast du mir persönlich gegeben. Und
zwar mit der Bitte, es so lange für dich aufzubewahren, bis du es wieder
abholen würdest. Du hast ziemlich geheimnisvoll getan, und ich habe mir große
Sorgen gemacht. Und jetzt frag mich bitte nicht nach dem Inhalt, denn ich habe
keine Ahnung. Aber bevor du es aufmachst, erzähle ich dir noch ein paar Dinge,
die dir vielleicht weiterhelfen könnten, Skipper.«
    Der
Angesprochene beäugte mit äußerster Spannung das Päckchen, brachte aber die
Disziplin auf, Roald zuzuhören. Mit gespanntem Blick lehnte er sich in seinem
Stuhl zurück. Nur die Finger seiner rechten Hand trommelten ungeduldig und
nervös auf dem Tisch herum.
    »Erstens:
Du hast mir irgendetwas von einem gigantischen Deal erzählt, irgendwo im
Nordmeer. Zwar nichts Genaues, aber du hast gesagt, dass dir der Job eine
Stange Geld einbringen würde. Du hattest schon einen erklecklichen Vorschuss
erhalten, warst in Bergen quasi auf Abruf. Den ganzen Juli hast du hier
herumgehangen und darauf gewartet, dass irgendein unbekannter Auftraggeber den
Startschuss gibt.«
    »Und was
war das für ein Job, wenn ich fragen darf?«
    »Tja, die
Info hast du schön geheim gehalten, mein Lieber. Angeblich war das eine der
Bedingungen für deine Unternehmung. Absolute Geheimhaltung. Das hatte schon
fast etwas Militärisches an sich. Aber den Vorschuss scheinst du tatsächlich
bekommen zu haben, denn du hast ganz schön mit Kohle rumgeschmissen. Und
aufgeregt warst du wie weiß nicht was. Übrigens auch, weil du eine Frau
kennengelernt hattest. Kurz vor deiner Abreise hast du sie auch einmal kurz
mitgebracht. Ein ganz heißer Feger, das muss ich schon zugeben.«
    »Ach, und
wie sah sie aus? Kannst du sie mir genauer beschreiben?«, fragte er verblüfft.
    »Eine
schwarzhaarige Schönheit aus Stavanger. Ich glaube, du wolltest sie zu deinem
großen Auftrag mitnehmen. Ihr habt verdammt verknallt ausgesehen, ihr zwei. Du
hast mir damals auch ihren Namen gesagt, aber den hab ich leider vergessen.«
    Skipper
schluckte. Also hatte ihn die kurze Erinnerung an die Frau doch nicht getrogen.
Der Schmerz, den er in ihrem Zusammenhang in seiner Brust gespürt hatte, war
geblieben. Dennoch wusste er immer noch nicht, was das