Der Colibri-Effekt
schon einmal
über den Weg gelaufen zu sein. Andererseits wurde ihm das jetzt alles zu viel.
Die Speicherkapazität seiner Festplatte war für diesen Tag voll ausgeschöpft,
er würde jetzt keinen Gedanken mehr daran verschwenden, schließlich gab es
wirklich Wichtigeres zu tun. Pennen in einem richtigen Bett zum Beispiel.
»Nun,
Herr Baron, ich denke, mein Kollege hat recht. Wir werden dann mal langsam
aufbrechen, auch die Polizei muss schließlich irgendwann einmal schlafen«,
sagte Haderlein. »Das Essen war jedenfalls ganz vorzüglich und vor allem der
Wein eine ausgesuchte Köstlichkeit. Ich werde mich gern wieder in einem
fachlichen Wettstreit mit Ihnen duellieren.« Grinsend gab er dem Baron die
Hand.
»Keine
Ursache, Herr Kommissar, Sie sind jederzeit herzlich willkommen.«
Der Baron
begleitete die beiden Polizeibeamten zur Tür. Haderlein griff sich seine Jacke
und Lagerfeld die Jutetasche mit seiner schmutzigen Arbeitskleidung, die ihm die
Haushälterin vorbereitet hatte. »Und richten Sie Frau Helga aus, ihre Küche
hätte durchaus einen Michelin-Stern verdient«, sagte Lagerfeld noch lässig.
»Vor allem das Wasser.«
»Ich
werde es ihr sagen«, antwortete der Baron lächelnd, »und über das Reisprojekt
müssen wir beide uns in der nächsten Zeit noch einmal unterhalten.«
Sekunden
später schloss sich die Tür hinter den beiden Kommissaren, die sich, natürlich
mit Lagerfeld am Steuer, in Richtung Judenstraße auf den Heimweg machten.»Wer
war denn dieser Freund aus Jugendtagen?«, fragte Haderlein nach einiger Zeit,
in der sie nachdenklich und schweigsam Richtung Bamberg gefahren waren.
Lagerfeld schreckte aus seinen Gedanken auf, die um geköpfte Leichen,
zerrissene Telefonbücher und seine Ute kreisten.
»Ach«,
meinte er, »vor meinem Abitur war ich mit ihm zusammen im Judoverein in
Bamberg. Ich war nicht besonders gut, aber er hat es damals bis zum Bayerischen
Jugendmeister geschafft. Ich war sogar mehrere Male bei ihm zum Abendessen
daheim – nach dem Training. Ein Jahr lang haben wir uns ziemlich gut
verstanden, aber nach dem Abi bin ich dann weg zur Landesverteidigung nach
Hammelburg, und danach haben wir uns nie wieder gesehen. Der auf dem Foto sieht
ihm ziemlich ähnlich, aber ich bin mir sicher, der hieß nicht Kiesler, der
hieß, Herrschaftszeiten – Hans Günther hieß er, genau! Wir haben ihn immer
nur HG gerufen. Der Nachname fällt mir beim
besten Willen nicht mehr ein, aber es ist ja auch egal. Keine Ahnung, was aus
ihm geworden ist.«
Haderlein
nickte, dann schwieg er, bis sie die Judenstraße in Bamberg erreichten.
Haderlein stieg aus. »Dann fährst du mit meinem Wagen nach Hause, und ich rufe
dich morgen auf deinem Handy an, wenn du mich abholen sollst. Wird
wahrscheinlich so gegen acht Uhr sein.« Er ließ die Beifahrertür ins Schloss
fallen, winkte noch einmal kurz und verschwand in seiner Haustür.
Lagerfeld
legte den ersten Gang ein und gab Gas. Bis zu seiner Noch-Single-Wohnung würde
er nicht einmal fünf Minuten –. Lagerfeld stieg so brutal in die Eisen, dass
der schwere Geländewagen quietschend zum Stehen kam. Hektisch tastete er seine
neue Hose ab. Verdammt, wo war sein Handy? Er durchsuchte erst das
Handschuhfach, dann den Stoffbeutel mit seinen verdreckten Sachen. Nichts. Das
Handy war weg. Verzweifelt legte er den Kopf aufs Lenkrad. Das war wirklich
einer der schlimmsten Tage seines bisherigen Lebens. Ganz bestimmt würde gleich
noch ein Meteorit vom Himmel stürzen und den Landrover unter sich
begraben – bei dem Glück, das er heute hatte. So ein verdammter Mist. Er
versuchte sich zu beruhigen und zu überlegen, wann er das Handy das letzte Mal
benutzt hatte. In Gedanken ging er den Tag noch einmal vom schwierigen Anfang
bis zum desaströsen Ende hin durch.
»Bist du
so sauer?«, hatte die SMS gelautet, die Ute von
Heesen schon vor über zwei Stunden abgeschickt hatte. Eine Antwort war bisher
ausgeblieben. Sie hatte die Wände fast fertig gestrichen, und die zukünftige
Küche strahlte in einem hellen Terrakottafarbton. Eigentlich hätte sie stolz
sein können, aber ihre Laune war auf dem Tiefpunkt. Sie vermisste Bernd und
seine flapsigen Aufmunterungen. Aber dass er auch immer gleich dermaßen
eingeschnappt sein musste. Sie legte den Farbroller weg und tippte eine weitere SMS .
»Okay, du
Schmollschranze. Ich simse dir nicht ewig hinterher, mein Guter. Du meldest
dich, wenn dir danach ist. Ich habe keine Lust mehr auf diesen Kindergarten.
Und
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