Der Colibri-Effekt
nichts finden, was mir Aufschluss über
dein komisches Verhalten gegeben hätte. Aber die vielen Metallteile im Laderaum
und der nagelneue Schiffsdiesel kamen mir komisch vor. Eigentlich viel zu groß
für den kleinen Kahn …«
»Metallteile?«,
wiederholte Skipper völlig überfordert. Das, was er hier erfuhr, war das blanke
Chaos.
»Ja,
Metall und irgendwelche elektronischen Teile, die im Laderaum herumlagen. Sie
sind mir deshalb aufgefallen, weil man so etwas ganz bestimmt nicht zum
Fischfang braucht. Überhaupt war nichts Diesbezügliches auf deinem Kutter zu
finden. Keine Netze, keine Treibangeln, kein Eis – nichts. Das Scheißding
war völlig leer. Nur Wasser im Eisraum und das ganze Metall. Also habe ich dein
Boot unten im Hafen vertäut und immer wieder mal nach dem Rechten gesehen. Bis
du vor drei Tagen plötzlich wieder aufgetaucht bist.«
Er fiel
fast vom Stuhl. »Was? Vor drei Tagen erst? Aber warum?«
»Du
fragst mich andauernd Sachen, auf die ich keine Antwort weiß, mein Lieber. Auch
darüber hast du mir nichts gesagt. Du hast dich nur tausendmal für die Umstände
entschuldigt und mir dieses Päckchen hier gegeben. Du warst noch heftiger durch
den Wind als im letzten Sommer. Und zum Schluss hast du mir eingeschärft,
niemandem zu sagen, dass du hier warst. Dann bist du auch schon wieder
verschwunden. Nicht mal gegessen hast du was.«
Skipper
schaute Roald verzweifelt an und beschloss dann, mit offenen Karten zu spielen.
Er krempelte den linken Hemdsärmel hoch und streckte Roald die Innenseite hin.
»Kannst du mir sagen, was das ist?«, fragte er ihn.
Roald
Hagestad betrachtete misstrauisch die Zahlenreihe, dann hatte er tatsächlich
eine Idee. »Bevor du hier raus bist, hast du was von einem Treffpunkt gefaselt.
Vielleicht haben die Zahlen ja etwas damit zu tun«, meinte er achselzuckend.
Ein
Treffpunkt? Roald hatte den richtigen Knopf gedrückt. In Skippers Gehirn kam es
zu größeren Turbulenzen. 58 43 4194 009 14 428?
Koordinaten? Aber um das überprüfen zu können, musste er zum Pick-up zurück. Er
würde sich später darum kümmern und jetzt erst einmal das Päckchen öffnen.
Ungeduldig riss er das braune Papier auseinander. Zum Vorschein kam eine kleine
weiße Pappschachtel, die mit einem roten Gummiring zusammengehalten wurde, wie
man ihn für Einweckgläser verwendete. Er entfernte den Gummi hastig, dann hob
er den Deckel.
Lagerfeld
stellte das Auto etwa fünfzig Meter von seinem Ziel entfernt ab. Er hatte keine
Lust, den Baron noch einmal herauszuklingeln und sich zu blamieren. Stattdessen
würde er sich leise durch den Hof und nach hinten in den Garten schleichen,
seine Jacke mit dem Handy holen und machen, dass er nach Hause in seine
Noch-Single-Wohnung kam. Und dann würde sich endlich der Mantel des verdienten
Schlafes über diesen schwärzesten Tag seines Lebens ausbreiten. Nebel war
aufgezogen. Er war so dicht, dass Lagerfeld trotz Straßenbeleuchtung kaum die
Hand vor Augen sehen konnte.
Seine
Netzhaut stellte sich nur allmählich auf die Lichtverhältnisse ein, sodass er
nur langsam vorankam. Um das Quietschen des Eingangstores zu vermeiden, stieg
er vorsichtig über den hüfthohen Gartenzaun und schlich sich auf Zehenspitzen
durch den Hof in den Garten. Dort herrschte eine düster-neblige Stimmung wie in
alten Edgar Wallace-Filmen, aber Lagerfelds guter Orientierungssinn und noch
besseres Improvisationstalent ließen ihn schließlich die Bank finden. Seine
Hände tasteten die Sitzfläche ab – und tatsächlich: Seine Finger fanden
das, wonach er gesucht hatte: Er spürte den Stoff seiner geliebten Jeansjacke.
Gerade als er nach ihr greifen wollte, ertönte wenige Meter neben ihm ein
Knirschen. Sofort erstarrte er und blieb regungslos in der Hocke sitzen.
Nein,
bitte nicht! Das musste doch jetzt wirklich nicht sein, dass ihn der Baron
nachts in seinem Garten erwischte. Das Knirschen wurde lauter. Ganz eindeutig
Schritte auf Kies. Jemand war wie er im Nebel unterwegs und kam langsam und
bedächtig näher, steuerte genau auf ihn zu. Lagerfeld überlegte kurz, ob er
nicht auf sich aufmerksam machen sollte, überlegte es sich dann aber anders.
Für heute hatte er sich häufig genug gerechtfertigt und würde lieber den
unauffälligen, aber beschleunigten Rückzug antreten. Vorsichtig nahm er mit
beiden Händen seine Jacke von der Bank, als die laute Stimme des Barons nur
wenige Meter schräg vor ihm erschallte.
»Wer ist
da? Kommen Sie heraus, oder ich
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