Der Colibri-Effekt
etwas kleiner: »Deep
Blue«.
Sprachlos
starrte er das Hakenkreuz an. Weder das Nazisymbol noch der Begriff Deep Blue
sagte ihm etwas. Angewidert stellte er die Schachtel auf den Tisch, schob sie
von sich und sah zu Roald hinüber, der die plötzliche Stimmungsveränderung
seines Freundes bemerkt hatte. Als er sich die Schachtel griff und sah, was auf
dem Schachtelboden verewigt worden war, entglitten auch seine Gesichtszüge.
»In was
für eine Scheiße bist du da nur hineingeraten, Skipper?«, sagte er tonlos,
erhob sich und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich werde uns jetzt erst
einmal einen Schnaps holen.« Nachdenklich ging er zur Theke und winkte einer
seiner Bedienungen.
Am
anderen Ende des Raumes, an einem Ecktisch neben der Eingangstür, saß ein Mann
mit dunklem Vollbart. Schon seit über zwei Stunden beobachtete er unauffällig
und professionell, was sich zwischen Roald und Skipper abspielte. Es war
genauso hochinteressant wie rätselhaft. Der Wirt des Restaurants schien im
großen Rätsel einen Part übernommen zu haben, von dem sie bisher noch nichts
gewusst hatten.
Aber wenn
er ehrlich war, wusste niemand im Moment besonders viel. Der Einzige, der das
Rätsel lösen konnte und über alles Bescheid wusste, saß wenige Meter von ihm
entfernt in diesem Raum. Allerdings war dessen Gedächtnis zweifellos noch immer
im Urlaub, ansonsten hätte er ihn mit Sicherheit bereits erkannt. Dann wäre er
auf keinen Fall dort drüben sitzen geblieben und hätte sich in aller Ruhe mit diesem
wild aussehenden Typen unterhalten.
Seine
Blicke hatten ihn bereits mehrfach gestreift, waren aber, ohne an ihm hängen zu
bleiben, weiter durch den Raum und über andere Gesichter gewandert. Selbst
jetzt, da nur noch wenige Gäste anwesend waren, war er ihm nicht aufgefallen.
Die beiden machten einen rat- und hilflosen Eindruck, was nur bedeuten konnte,
dass er noch einen langen Weg zu sich selbst vor sich hatte. Und natürlich war
ihm nicht klar, dass nur sein Gedächtnisverlust der Grund dafür war, dass er
noch lebte. Hätte auch nur der geringste Anlass zu der Annahme bestanden, dass
er sein Umfeld verarschte und schon längst Bescheid wusste, würde er nicht mehr
in aller Seelenruhe dort drüben sitzen und diese komische Schachtel anstarren.
Nein, er
machte sich keine Illusionen: Würde er oder jemand anderes, der hinter ihm her
war, ihn zwischen die Finger bekommen, wenn er sich erinnern konnte, dann wäre
er so gut wie tot. Man würde ihn zum Reden bringen und dann töten. Und
sicherlich würde es kein kurzer, schmerzloser Tod werden, denn er hatte sich
mit Menschen angelegt, die gern töteten. Er selbst nahm sich von dieser Art
ausdrücklich aus. Er gehörte nicht zu diesen hirnlosen Schlächtern, die Spaß am
Morden hatten. Er tötete nur, wenn es die Lage unbedingt erforderte, nicht,
weil es ihm irgendeine Befriedigung verschaffte. Wahrscheinlich war es den
anderen sogar egal, ob er noch reden würde oder nicht, die würden ihn so oder
so töten. Das waren Wahnsinnige.
Aber auch
er verspürte Rachegelüste. Er hatte sich nicht an die Abmachungen gehalten. Das
zog ganz automatisch ein Todesurteil nach sich, aber immerhin hatte er so viel
Verstand, zu wissen, dass er damit noch Geduld haben musste. Das Geschäft hatte
Vorrang, und würde er ihn zu früh erschießen, so würde es kein Geschäft mehr
geben. Das größte Geschäft seines Lebens. Und zwar nicht nur für ihn, sondern
auch für alle anderen. Aber dieser Typ dort drüben würde ihm dieses Geschäft
nicht vereiteln, da hätte er schon früher aufstehen müssen. Seine Hände
krampften sich um die Waffe unter seiner Jacke. Er würde die Beherrschung nicht
verlieren, er war nicht wie die anderen, er nicht. Er atmete tief durch, ließ
die Beretta wieder los und nahm mühsam beherrscht einen Schluck von seinem
Wein.
Albrecht
Kaim, Pilot und Mechaniker in Personalunion der überschaubaren Fluglinie
»Fiesder Airlines«, stand in dem kleinen beleuchteten Hangar am Ortsrand von
Hohengüßbach. Es war ein harter Tag gewesen. Sein Chef, der Hohengüßbacher
Bauunternehmer Georg Fiesder, hatte von Baustelle zu Baustelle geflogen werden
müssen. Den letzten Flug hatte Albrecht Kaim bei aufziehendem Nebel und
absoluter Dunkelheit absolviert. Es war kurz vor Mitternacht, sein Chef war
erst vor wenigen Minuten abgedampft, und es reichte ihm für heute. Den Helikopter
hatte er für den morgigen Tag bereits wieder aufgetankt, jetzt trug er in
seinem wohlverdienten
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