Der Colibri-Effekt
Feierabend noch die Daten des heutigen Arbeitstages in
das Flugbuch ein. Er war fast fertig, als am Rande der kleinen Wiese unter
einer Trauerweide direkt am beleuchteten Schild »Flugfeld« ein alter Lastwagen
hielt. Albrecht Kaim sah auf, konnte die Beschriftung der Lkw-Plane aber nicht
genau erkennen, weil es dunkel war und der Hubschrauber ihm den direkten Blick
versperrte. Eine Autotür fiel ins Schloss, dann kam ein großer, kräftiger Mann
mit federnden Schritten auf ihn zu. Albrecht Kaim beendete seine Eintragungen
ins Flugbuch, dann ging er dem Ankömmling in seinen verölten
Flugzeugmechaniker-Klamotten entgegen.
»Was kann
ich für Sie tun?«, fragte er höflich und bemerkte, dass die Hose des Mannes bis
über die Knie durchnässt war.
Sein
Gegenüber schaute sich kurz nach rechts und links um, dann streckte er die Hand
aus und sagte freundlich und zuvorkommend: »Schmitt, Bernd Schmitt! Eigentlich
wollte ich Ihren Chef sprechen, Herrn Fiesder. Der ist nicht zufällig da?«
Wieder schaute er sich nach allen Seiten um.
Albrecht
Kaim schüttelte den Kopf. »Nein, um Gottes willen. Auf den Baustellen tut sich
in der Nacht nichts, also gibt es keinen Grund für Herrn Fiesder, auf seinen
heiligen Schlaf zu verzichten. Worum geht’s denn, wenn ich fragen darf?« Wieder
beäugte er misstrauisch die patschnassen Beinkleider dieses Bernd Schmitt.
»Ich
hatte für morgen früh zehn Uhr einen Rundflug für vier Personen gebucht und
wollte sicherheitshalber nachfragen, ob alles klargeht.«
Albrecht
Kaim zuckte zusammen. Rundflug? Da war schon wieder etwas schiefgelaufen. Eben
noch hatte er den Flugplan für morgen durchgesehen, und ganz sicher war da kein
Rundflug mit einem Herrn Schmitt eingetragen gewesen, sondern nur
Baustellenbesuche mit seinem Chef, Georg Fiesder. Noch dazu in aller
Herrgottsfrühe. Er würde jede Wette eingehen, dass sein egozentrischer Boss den
Termin wieder einmal zugesagt hatte, ohne ihn mit ihm abzusprechen. Der Mann würde
ihn noch ins Grab bringen.
»Entschuldigen
Sie«, sagte er bedauernd, »aber da kann etwas nicht stimmen, Herr Schmitt.« Er
bedeutete ihm zu folgen, während er zum Hangar zurückging. Dort beugte er sich
über die noch immer aufgeschlagenen Seiten des Flugbuches und zeigte auf die
Spalte für den nächsten Tag.
»Sehen
Sie hier, Herr Schmitt, leider ist Ihr Flug für morgen nicht eingetragen. Ich
weiß ja nicht, mit wem Sie gesprochen haben, Herr Schmitt, aber da muss ganz
offensichtlich –« Er hob den Kopf, um seinen spätabendlichen Besuch
anzublicken, als ihn ein Faustschlag im Gesicht traf. Albrecht Kaim legte sich
flach und machte bewusstseinsmäßig erst einmal eine längere Siesta.
Der Mann
mit dem vorgeblichen Namen Schmitt packte den bewusstlosen Kaim und zerrte ihn
in den Hangar. Er legte den Bewusstlosen in dem Raum, in dem das Flugbenzin
aufbewahrt wurde, auf den staubigen Boden und verriegelte die Tür mit einer
massiven Fahrradkette, die er zu diesem Zweck versteckt bei sich getragen
hatte.
In dem
kleinen Flugplatz-Büro musste er nicht lange nach dem Schlüssel für den
Hubschrauber suchen. An einem Brett an der Wand hing ein einziger
Schlüsselbund, unter dem groß und breit »Heli« geschrieben stand. Mit diesem
ging er zum Hubschrauber, wo der kleine Chip in der Schlüsselummantelung sofort
von der Bordelektronik erkannt wurde und die Tür sich mit einem leisen Piepen
entriegelte. Er nahm auf dem Pilotensitz Platz und versorgte die Instrumente
mit einer halben Drehung des Schlüssels erst einmal mit Strom. Die Elektronik
erwachte blinkend und aufleuchtend zum Leben.
Ein
verhaltenes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Das hier war nicht irgendein
Wald- und Wiesenhüpfer, nein, Bauunternehmer Georg Fiesder hatte sich einen
Eurocopter gegönnt, einen EC -135. Als er die
gelbe Lackierung gesehen hatte, hatte er sich allerdings das Lachen verbeißen
müssen: definitiv ein ausrangierter Rettungshubschrauber vom ADAC . Auf der einen Seite war noch der Name
»Christopher« zu lesen, der auf der anderen großzügig mit plakatähnlichen
Konterfeis des Bauunternehmers überklebt worden war. Trotzdem war der Heli ein
richtiges Lasttier und fast dreihundert Kilometer pro Stunde schnell. Genau
das, was er jetzt brauchte. Der Tank schien voll zu sein, also würde er damit
circa sechshundert Kilometer weit kommen. Bis zu seinem Ziel musste er ihn noch
irgendwo auftanken, aber auch das würde er schon hinkriegen. Es gab genügend
einsame Flugplätze,
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