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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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sie
genau und äußerst strukturiert. Hier war ein Zweig zu viel, dort ein Ast zu
dick. Pausenlos hatte sie etwas zu meckern und verlangte Nachbesserungen in
ihrem Sinne. Das nervte. Und wenn er sich dann mal unter einen Haselnussbusch
am Ufer zurückzog, um sich zu erleichtern und ein wenig zu meditieren, kam sie
auch schon nach wenigen Minuten wieder angewatschelt und machte Ansagen, er
solle endlich wieder arbeiten. Er habe jetzt genug herumgehockt, kaute sie ihm
ein Ohr ab. Inzwischen ging ihm das alles gründlich auf den Senkel, und er
versank in einer massiven Sinnkrise.
    Und dann
kam auch noch dieser Mensch. Dieser neidige Nachbar und Besitzer des
Obstgartens. Fürs Erste konnte man ja einfach untertauchen, wenn der Typ
antrabte und irgendetwas herüberschimpfte, aber dann rückte er mit so einem
Minibagger an und zerstörte den mühsam gebauten Damm komplett, sodass sie ihn
wieder errichten mussten. Zwei Mal hintereinander ging das Spielchen so, aber
nachdem sie die Biberburg zum dritten Mal wiederaufgebaut hatten, größer und
schöner als je zuvor, gab der Mensch endlich auf und zog ab.
    Aber was
heißt eigentlich, »sie hatten die Biberburg wiederaufgebaut«? Ganz allein hatte
er in drei Nächten alles wieder reparieren müssen, denn sie konnte ihm dabei ja nicht helfen, sie war ja
trächtig, sie musste ja stolz wie Harry mit
vorgerecktem Bauch durch die Gegend stolzieren.
    Nach der
dritten Nacht war er so platt gewesen, dass er nur noch schlafen hatte
wollen – und zwar allein. Und natürlich war sie ausgerechnet da zu ihm
gekommen und hatte angedeutet, mit ihm bibern zu wollen. Als Belohnung
sozusagen. Aber er hatte sich nicht mehr dazu aufraffen können, beim besten
Biberwillen nicht. Deshalb war sie nun sauer, fühlte sich zurückgewiesen und
verletzt. Der Biberburgsegen hing also mächtig schief.
    Und dann
waren plötzlich diese ganzen Menschen auf dem Gartengrundstück erschienen.
Überall herrschte mit einem Mal Krach und Hektik. Sie mussten an den berühmten
Biberdichter Wilhelm Busch denken, der einmal, so oder so ähnlich, gesagt
hatte: »Der Mensch wird meist als Lärm empfunden, weil er mit Geräusch
verbunden.«
    Und diese
lärmenden Geräusche schienen den ganzen Tag lang kein Ende nehmen zu wollen.
Erst gegen Abend, als die Sonne langsam am Horizont verschwand und sich die
Frühjahrsnebel über das Geschehen legten, kamen auch die Menschen langsam
wieder zur Ruhe. Aber die friedliche Stille währte nicht lang.
    Der
Bibermann hatte nur kurz den Wasserspiegel kontrollieren wollen, als er die
lauernde Gefahr spürte. Ein leises, regelmäßiges Knirschen im Kies, er kannte
das Geräusch. Es stammte von einem schleichenden Raubtier. Er presste sich, so
platt er konnte, auf den nassen Wiesenboden und horchte in die Dunkelheit
hinein.
    Eine
Minute lang passierte nichts, dann hörte er plötzlich ein lautes »Pock!«. Etwas
war heruntergefallen. Erschrocken hielt er den Atem an. Eine Sekunde später
fiel ein Schuss, dann noch einer und anschließend etwas sehr Schweres zu Boden.
Vorsichtig glitt er ins Wasser zurück. Nur seine Augen und die Schnauze
schauten noch heraus. Seine Neugierde überwog seine Angst: Er wollte wissen,
was hier vor sich ging. Er beobachtete, wie eine Gestalt mit einer Art langem
Rohr in der Hand im Nebel auftauchte, dann gingen in den Nachbarhäusern die
Lichter an, und man konnte die aufgeregten Stimmen von Menschen hören. Die
Gestalt mit dem Rohr drehte sich um und verschwand mit schnellen Schritten.
    Kurze
Zeit später erschien aus derselben Richtung, in die der Mann zuvor verschwunden
war, ein weiterer Mann, der einen anderen auf der Schulter trug. Er lief bis
zum Ufer und durchquerte direkt vor dem Biberdamm das kleine Flüsschen. Der
Bibermann hielt seine Schnauze in die Luft, und tatsächlich kam ihm der Geruch
des Mannes bekannt vor.
    Erst
jetzt tauchte seine verschlafene Frau aus dem Bau auf und fragte, was überhaupt
los sei. Im Garten waren mittlerweile schon wieder Menschen, und kurz danach
tauchte auch ein Auto mit Blinklicht auf, das einen kranken Mann mitnahm.
    Der
Bibermann kapierte überhaupt nichts mehr. Jedenfalls konnten sie diese Nacht
vergessen, denn bei diesem Halligalli konnte ja kein Biber schlafen –
nicht mal seine Frau. Gemeinsam zogen sie sich ins Innere der Biberburg zurück
und schmollten ob der Störung ihrer Nachtruhe. Irgendwie hatten sie sich den
Beginn ihres Biber-Start-ups anders vorgestellt.
    Er hatte
noch einen Apfelbrand mit Roald

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