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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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von denen er wusste und auf denen er sich Flugbenzin
beschaffen konnte. Und vor morgen früh würde hier niemand den fehlenden
Hubschrauber bemerken. Das Zeitfenster für sein Vorhaben war groß genug.
    Er
startete das Triebwerk. Während er es warm laufen ließ, stieg er wieder aus der
Pilotenkanzel und sprintete zum Lastwagen zurück. Mit leichtem Schlingern brachte
er das schwere Fahrzeug neben dem bereits laut pfeifenden Hubschrauber zum
Stehen und schlug eine der seitlichen Lastwagenplanen mit der Aufschrift
»Kaliko« zurück. Obwohl die Rotoren sich nur im Leerlauf drehten, bereitete ihm
die schwere Plane größte Mühe, da sie von den Böen, die die Rotorblätter
erzeugten, hin und her flatterte.
    Auf der
Ladefläche lag ein bewusstloser Mann, sein Kopf war auf eine Jeansjacke
gebettet. Er packte den Mann, hievte ihn sich über die Schulter, dann griff er
mit der freien Hand seine Jacke und schleppte alles zusammen zum Hubschrauber
hinüber. Er legte den Mann in den großen Laderaum, der bis zu eineinhalb Tonnen
Nutzlast befördern konnte, bettete seinen Kopf wieder auf die zusammengefaltete
Jacke, dann warf er die Schiebetür des Laderaums zu und setzte sich in die
Kanzel. Kurz überprüfte er die Papiere des Helikopters, bevor er sich grimmig
lächelnd den Pilotenhelm aufsetzte. Er hatte das Fliegen eines Hubschraubers
von der Pieke auf gelernt. Bei all dem ganzen Wahnsinn, der gerade in seinem
Leben passierte, war das Helifliegen eher als ein positiver Höhepunkt zu
verbuchen.
    Bevor er
startete, führte er noch ein kurzes Gespräch über den Bordfunk. In Deutschland
gab es Formalitäten, die immer und überall eingehalten werden mussten. Nach
wenigen Minuten war endlich alles bereit. Er überprüfte die Instrumente am
Panel vor sich, zog am Steuerknüppel, und der gelbe Helikopter des
oberfränkischen Bauunternehmers Georg Fiesder hob bereitwillig von seinem
betonierten Standplatz ab. Zügig beschleunigte er auf über zweihundertfünfzig
Stundenkilometer und schoss dann in Richtung Norden davon. Nur ein Lkw mit
einer vom Wind der Rotoren zerfetzten Plane, auf der mit viel Mühe die
Aufschrift »Kaliko« zu entziffern war, zeugte einsam und verlassen in der
Dunkelheit von dem Vorfall.
    Die Biber
waren verärgert. Nein, eigentlich war das der falsche Ausdruck: Sie waren bis
aufs Äußerste genervt. Erst waren sie mühsam vom Main aus in dieses kleine
Flüsschen abgebogen und es hinaufgewandert, dann, nachdem sie eine laute
Menschensiedlung hinter sich gelassen hatten, hatte sich vor ihnen urplötzlich
das Paradies aufgetan. Hinter dem letzten Haus eines Ortes weitete sich die
Landschaft zu einem idyllischen Tal. Das Flüsschen mäanderte sanft durch Wiesen,
und Bäume, die man für diverse Biberzwecke fällen konnte, gab es auch genug.
Besonders der große Garten mit den Obstbäumen sah sehr vielversprechend aus.
Deren Holz war wahrscheinlich zu hart, um es durchzunagen, aber im Schatten der
Bäume konnte man bestimmt gut Pause machen. Eine richtige Bibercasa mit
Ringelpiez und Anfassen.
    Da der
Platz ideal war, fingen sie umgehend an, das Stück Natur in ihrem Sinne
umzugestalten. Zuallererst musste ein Damm her, denn bevor man an die Gründung
einer Bibersippe denken konnte, musste das Zuhause gesichert sein. Nach alter
Sitte musste der Wasserspiegel dafür drastisch erhöht werden. Zwei
arbeitsreiche Nachtschichten und ein paar gefällte Erlen später war sie denn
auch schon bezugsfertig: die Biberburg à la Baunach.
    Jetzt
konnte man also unverzüglich zum schönsten Teil der Übung übergehen: der
Bibervermehrung, im Nageridiom auch einfach »Bibern« genannt. Schon nach
wenigen Tagen bemerkte die Biberin, dass sie trächtig war, somit konnte das
Bibern, sehr zum Missfallen des Herrn der Schöpfung, umgehend eingestellt
werden. Ein bisschen Bibern auf der Baustelle war stets eine willkommene
Abwechslung, um Streit zu schlichten oder einfach nur den Stress abzubauen,
denn auch bei Bibers herrschte auf dem Bau nicht immer eitel Sonnenschein.
Besonders dann, wenn man seine allererste Biberfamilie in Angriff nahm. Der
junge Biber wollte einerseits natürlich auch in der Bauphase seinem Weibchen
imponieren, andererseits so schnell wie möglich die Baustelle abhaken, damit er
mit seiner Angebeteten endlich wieder bibern konnte. Allerdings bedeutete das
in ihren kritischen Augen eindeutig Schluderei. Außerdem war sie bereits
trächtig, wozu also noch bibern? Im Gegensatz zu ihrem männlichen Part war

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