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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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getrunken, der ihm lächelnd erklärt hatte, er
selbst habe das Destillat im letzten August mitgebracht. Damals habe er Roald
auferlegt, ausschließlich dann von diesem Brand zu trinken, wenn er dabei sei.
Da die Flasche bereits zur Hälfte geleert war, musste er mit Roald schon des
Öfteren gebechert haben.
    Roald
hatte ihm anschließend angeboten, bei ihm zu übernachten. Er hatte das Angebot
dankend angenommen, aber vorher wollte er noch zum Pick-up, um die Zahlen zu
überprüfen, und danach zu seinem Boot. Vielleicht fand er dort ja etwas, was
seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen würde.
    Die
beiden Männer erhoben sich und gingen zum Ausgang des »Tracteursted«. Außer
ihnen waren nur noch zwei Gäste im Raum, die nun aber auch aufbrachen.
Schweigend ging Skipper mit Roald durch die alten Gassen zu seinem Pick-up,
setzte sich ins Auto, bat Roald, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, und
krempelte dann den linken Hemdsärmel nach oben, sodass die Zahlen zum Vorschein
kamen. Es war immerhin eine Möglichkeit.
    Er kramte
den Garmin aus dem Handschuhfach und schaltete ihn ein. Nach wenigen Sekunden
leuchtete das Display auf und zeigte einen großen digitalen Kompass. Darunter
war ein Eingabefeld für etwaige GPS -Daten.
Skipper trug die Zahlen 58 43 4194 009 14 428 ein,
dann berührte er das Feld »Berechnen« auf dem Touchscreen. Nach nur wenigen
Sekunden erschien ein geografischer Punkt auf dem kleinen Bildschirm.
    »Das
gibt’s ja nicht!«, entfuhr es Roald. »Das kann kein Zufall sein, dass deine
Zahlen Koordinaten sind. Jede Wette, dass das dein Treffpunkt mit wem auch
immer ist.« Er fühlte sich in seine Kinderzeit zurückversetzt, als er noch von
Schatzkarten und Seeräuberschiffen geträumt hatte.
    Skipper
hatte es derweil die Sprache verschlagen. Um seine Hoffnung zu dämpfen, hatte
er sich eingeredet, wenn es denn Koordinaten wären, würden sie zu einem Punkt
irgendwo im Atlantik oder der Ostsee gehören. Aber mitnichten. Das karierte
Fähnchen auf dem Display steckte in einer Stadt. Und zwar exakt im Stadtkern
einer der südlichsten Städte Norwegens: Risør.
    »Dann
eben Risør«, sagte Skipper schließlich. Er kam sich vor wie bei einer
Schnitzeljagd. Er würde jetzt von einem Hinweis zum nächsten eilen, und wehe,
er würde das Rätsel der jeweiligen Station nicht lösen, dann hätte er ein
Problem. Aber zumindest das Geheimnis der Zahlen hatte sich ihm jetzt
offenbart.
    Er atmete
tief durch, schaltete den Garmin wieder aus und stopfte ihn zusammen mit seinen
wenigen Habseligkeiten in einen alten abgewetzten Seesack, den ihm Roald
gegeben hatte. Gemeinsam machten sie sich anschließend auf den Weg zu seinem
Boot, das nur etwa hundertsiebzig Meter Luftlinie von seinem Pick-up entfernt
am alten Hafenkai vertäut lag, direkt vor der traumhaften Kulisse der Altstadt
Bryggen.
    Beim
Anblick des Kutters bildeten sich zahlreiche Falten auf seiner Stirn. Der Name
»Papegøyedykker – Ålesund« war nur noch mit gutem Willen und reichlich
Phantasie am Bug zu erkennen. Außerdem stank es aus dem Unterdeck anmaßend
penetrant nach Trockenfisch. Das Schiff sah aus, als würde es jeden Moment den
Löffel abgeben. So ein Wrack hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen –
jedenfalls nicht in dem Leben, an das er sich erinnerte. Seufzend kletterte er
an Bord und sah sich um. Der Kahn bestand nur mehr aus Rost und abgenutztem
Holz, das zudem noch ungepflegt war. Das Boot war zwar keine Schönheit,
entpuppte sich aber bei genauerem Hinsehen als überraschend robust. Vor allem
der Diesel musste erst neu eingebaut worden sein. Als Skipper schließlich nach
unten in den Laderaum des Seelenverkäufers stieg, wartete Roald am Kai.
    Im
hintersten Eck des Raums, aus dem es am schlimmsten nach Fisch stank, lagen die
besagten Metallteile in einem großen Behälter, der eigentlich für die
Eisaufbewahrung gedacht sein musste. Das Holz am Boden der großen Eiskiste war
grün von dickem Algenbelag. Vor Kurzem musste die Kiste noch voller Wasser
gewesen sein. Dann betrachtete Skipper das Metall. Aber abgesehen davon, dass
er keine Ahnung hatte, wofür diese Art Metall einmal gedient haben konnte, war
auch das so voller Algen, als hätte es bereits hundert Jahre am Meeresboden
gelegen. Zudem hafteten an dem Blech noch kleine Muscheln und sonstiger
Bewuchs. Nein, auch dieses Boot brachte ihn nicht weiter.
    Nach
einer Stunde gründlichster Suche hatte er genug, steckte ein kleines Stück
Blech in seine Hosentasche

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