Der Colibri-Effekt
und kletterte wieder an Land. Roald, der sich auf
die Hafenmauer gehockt hatte, erkannte an seinem enttäuschten Gesichtsausdruck,
dass er auf keine weiteren Informationen gestoßen war.
»War wohl
ein Schlag ins Wasser?«, fragte er mitfühlend und Skipper nickte. »Wie wär’s
jetzt mit ein bisschen Schlaf? Morgen ist auch noch ein Tag.«
Skipper
überlegte. Eigentlich war er völlig übermüdet und könnte die Ruhe gut
gebrauchen. Dennoch schüttelte er nach einem Blick auf seine Armbanduhr
entschlossen den Kopf. »Nein, Roald, geh allein nach Hause. Du hast genug für
mich getan, und ich kann jetzt sowieso nicht schlafen. Ich werde mich auf den
Weg nach Risør machen. So wie es auf dem GPS aussah, brauche ich bis dahin mindestens acht Stunden. Wenn ich die Nacht
durchfahre, werde ich morgen früh dort sein. Außerdem will ich dich nicht
weiter in diese Sache mit hineinziehen.«
Roald
nickte langsam. Er wusste, dass Skipper recht hatte. Hier in Bergen vergeudete
er nur seine Zeit. Er umarmte ihn. » Pass pa deg, min ven .«
Skipper
hielt ihn einen Moment lang sehr fest. Mit Roald verabschiedete er sich gerade
vom einzigen Menschen auf dieser Welt, dem er im Moment vertrauen konnte.
» Jeg kommer tilbake . Dann wirst du alles erfahren, und wir
werden die Flasche Apfelbrand zusammen leeren, das verspreche ich dir, Roald.«
Er wandte
sich um und ging zu seinem Wagen zurück. Er musste noch volltanken, und die
Tankstellen in Bergen würden wahrscheinlich bald schließen.
Roald
schaute ihm mit einem unguten Gefühl hinterher. Aber was hätte er noch für ihn
tun können? Seufzend ging er durch die Gassen zum »Bryggen Tracteursted«
zurück. Die Restaurantbeleuchtung war bereits ausgeschaltet, seine Bedienung
hatte alles für den morgigen Tag vorbereitet und Feierabend gemacht. Als er
durch den Hintereingang eingetreten und die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen
war, spürte er plötzlich, dass er nicht allein war. Irgendwer oder -etwas
lauerte vor ihm in der Dunkelheit. Seine linke Hand tastete nach dem
Lichtschalter neben der Tür, doch bevor sie auch nur in dessen Nähe kam, traf
ihn ein brutaler Schlag gegen das Knie. Er spürte, wie ihm das Bein mit einem
furchtbaren Schmerz nach außen wegknickte, dann kippte er mit einem lauten
Stöhnen auf die Seite und ging zu Boden. Seine Augen suchten in der Dunkelheit
vor ihm verzweifelt nach seinem Angreifer, aber erfolglos. Der zweite Tritt mit
einem schweren Stiefel traf ihn direkt im Gesicht. Er hörte, wie sein Nasenbein
brach, dann lief ihm Blut seitlich über das Gesicht und tropfte auf den Boden.
Mit dem darauf folgenden Schlag verlor Roald Hagestad das Bewusstsein.
Die Jagd der Schatten
An der
Ausfallstraße Richtung Ytre Arna fand er eine Tankstelle, die ihm noch Benzin verkaufte.
Dort erfuhr er auch, dass die Tankstelle in Odda die ganze Nacht hindurch
geöffnet hatte. Also konnte er den Wagen dort wieder auftanken und auf jeden
Fall bis zur Südküste durchfahren.
Seine
Hände schlossen sich fest um das Lenkrad des Pick-ups. Auf dem Zettel, den er
in der Schachtel gefunden hatte, war notiert worden: »zwischen zehn und elf
Uhr«. Er würde den Termin einhalten, und wenn er dafür eine Koffeinvergiftung
in Kauf nehmen musste. Dann konnte er nur noch hoffen, dass die angegebene Zeit
auch für morgen galt und jemand am Treffpunkt auftauchte.
In dem
Tankstellen-Shop hatte er sich einen starken Kaffee genehmigt, und auf dem
Beifahrersitz kullerten vier Dosen Red Bull. Das sollte reichen, um wach zu
bleiben.
Das
monotone Brummen des Wagens half ihm, innerlich ruhiger zu werden. Er gab Gas.
Er musste sich beeilen und das eine oder andere Tempolimit ignorieren, sonst
würde er die letzte Fähre von Eidesvagen über den Hardanger nach Jondal
verpassen, was einen gigantischen Umweg über Lillehammer oder Skien zur Folge
haben würde. Zusätzliche Fahrtstunden konnte er heute nicht gebrauchen. Kurz
hinter Ytre Arna ließ er die urbane Bebauung des Großraumes Bergen hinter sich
und tauchte mit seinem Nissan ein in die nächtliche norwegische Fjordlandschaft.
Kriminalhauptkommissar
Franz Haderlein hatte trotz des brutalen Mordfalles tags zuvor sehr gut
geschlafen. Der Rotwein des Barons war ein ausgezeichneter Stimmungsaufheller
gewesen, ein wirklich guter Tropfen – und dazu noch eines der besten
Schlafmittel, das ihm bisher untergekommen war. Kaum dass er die Haustür hinter
sich geschlossen hatte, hatte ihn auch schon eine bleierne
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