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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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Haderlein rekapitulierte, was er wusste: Lagerfeld war also nicht
nach Hause, sondern heimlich zum Anwesen des Barons zurückgefahren, zu der Bank
hier gelaufen, dann zur Baunach und nun verschwunden. Der Hauptkommissar
richtete seinen Blick in die dunkle Finsternis des gegenüberliegenden Ufers.
    »Kann
mich mal jemand aufklären, warum ihr hier meine Spuren ruiniert?«, fragte
Ruckdeschl einigermaßen genervt.
    »Lagerfeld
war heute Nacht hier. Zumindest behauptet Riemenschneider das«, antwortete
Haderlein.
    Ruckdeschl
bemerkte nicht nur die Ratlosigkeit in seinem Blick, sondern auch die Sorgen,
die sich Franz um seinen jungen Kollegen machte. »Lagerfeld? Jetzt warte mal,
Franz. Ich glaube, ich hab da was gefunden«, sagte er plötzlich und ging davon.
Kurz darauf erschien er mit einem kleinen Plastikbeutel in der Hand, in dem
sich ein schwarzer Plastikschutz mit dem Aufdruck »Marlboro«, Lagerfelds
bevorzugte Zigarettenmarke, befand.
    »Die
Schutzhülle von Bernds iPhone.« Haderlein war verblüfft. »Wo hast du die
gefunden?«
    »Hier im
Schilf«, sagte Ruckdeschl. »Nachdem du mit Riemenschneider ins Haus gegangen
bist.«
    Haderlein
starrte ihn fassungslos an. Lagerfeld war also tatsächlich hier gewesen, daran
bestand jetzt kein Zweifel mehr. Aber warum und zu welchem Zweck? Und wieso
hatte er ihn nicht wenigstens angerufen? Je mehr der Hauptkommissar über die
ganze Sache nachdachte, desto ungemütlicher wurden seine Schlussfolgerungen.
    »Du
machst dir Sorgen um Bernd?«, fragte Ruckdeschl.
    »Die
mache ich mir allerdings«, sagte Haderlein durch zusammengebissene Zähne, »und
zwar in mehrerlei Hinsicht.« Zum x-ten Mal in den letzten fünf Minuten fuhr
sich Haderlein mit der Hand durch die vom Nebel feuchten Haare.
    »Wie
meinst du das, Franz?«
    »Ganz
einfach«, knurrte Haderlein. »Entweder er ist unfreiwillig in diese Geschichte
hier hineingeraten, dann ist er jetzt womöglich verletzt oder – noch
schlimmer – tot. Oder er war mit voller Absicht hier und steckt irgendwie
in der Sache mit drin.«
    Ruckdeschl
sah ihn ungläubig an. »Das ist doch nicht dein Ernst, Franz!«
    Doch
Haderlein schaute ihn mit traurigen Augen an. »Das ist sogar mein voller Ernst.
So oder so, wir werden jetzt alle miteinander Lagerfeld suchen. Und wenn er bis
zum Morgen nicht aufgetaucht ist – und zwar mit einer verdammt guten Erklärung –,
dann werde ich ihn zur Fahndung ausschreiben, so wahr ich hier stehe.«
    Haderlein
ging schweigend davon, und der Streifenpolizist folgte ihm. Der Hauptkommissar
klaubte noch Riemenschneider auf, dann verschwand er im nächtlichen Nebel
Richtung Hoftor. Ruckdeschl stand allein und verloren neben einer von
Schrotkugeln zerstörten Bank und hatte ein schlechtes Gefühl.
    Er war
noch einmal davongekommen. Durch seinen Instinkt, in diesem Fall aber eher mit
Hilfe eines großen Zufalls. Wäre dieser Irre mit seinem Wohnwagen nicht
aufgetaucht, wäre seine Lage wahrscheinlich nicht mehr so entspannt. Zwar hatte
er die Verfolger erst einmal abgeschüttelt, aber die Frage blieb, wer sie
überhaupt gewesen waren. Und wie hatten sie ihn so zielgenau finden können? Der
Einzige, der wusste, wohin er unterwegs war, war Roald. Aber Roald war absolut
vertrauenswürdig. Wenn er ihn hätte hochgehen lassen wollen, dann hätte er das
schon früher tun können. Nein, Roald steckte nicht dahinter. Es sei denn, die
hätten ihn –? Er verbot sich, den schrecklichen Gedanken weiterzudenken.
Da musste etwas anderes dahinterstecken, aber auch das würde er, verdammt noch
mal, herausfinden. Wütend trat er aufs Gaspedal und ließ
Geschwindigkeitsbeschränkung Beschränkung sein.
    Kurz vor
neun Uhr morgens erreichte er die Stadtgrenze von Risør. In einer kleinen
Straße namens »Storgata« parkte er den Nissan neben einer schneeweißen alten
Villa. Sofort holte er den Garmin hervor, schaltete ihn ein und drückte einen
kleinen, unscheinbaren Button auf dem Touchscreen, der mit »Scan« belegt war.
Sofort begann das Navigationsgerät alle Frequenzen abzugleichen, derer es
habhaft werden konnte. Nach siebenundzwanzig Sekunden wurde es fündig und
zeigte einen roten Pfeil genau dort, wo der Nissan stand. Das Auto war
verwanzt.
    Kalte Wut
stieg in ihm hoch. Wie hatte er nur so blöd sein können? Warum hatte er den
Test nicht gleich am Fjord oder in Bergen gemacht? Tja, nachher war man immer
schlauer, doch in diesem Fall hätte seine Nachlässigkeit tödlich enden können.
    Er lief
um den Wagen herum,

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