Der Colibri-Effekt
zu Tode. Natürlich,
er hätte gern noch länger dem hiesigen Straßenbau zugesehen, aber er hatte noch
anderes zu tun, weiß Gott. Auf diversen anderen Baustellen wartete man auf
seine, Georg Fiesders, Anwesenheit. Zum wiederholten Mal drehte er den
schwarzen Hut, der zu seinem Markenzeichen geworden war, nervös zwischen den
Fingern, als das Taxi, das er schlussendlich bestellt hatte, in die Straße einbog.
Auf dem Laster, neben dem er gerade stand, prangte noch ein Wahlplakat von
seinem längst vergangenen Versuch, Bürgermeister von Breitengüßbach zu werden.
Obwohl das nicht geklappt hatte, war Georg Fiesder im Bamberger Landkreis
trotzdem in etwa so bekannt wie das HI -Virus.
Kein Bürgermeisteramt, aber dafür Inhaber einer eigenen Fluglinie mit
Hubschrauber. Gewinn machte er mit der »Fiesder Airlines« allerdings nicht,
viel eher haushohe Verluste, die man aber praktischerweise bei der
Steuererklärung geltend machen konnte. Zudem war es extrem cool, auf einer
Baustelle mit dem eigenen Helikopter zu landen, kurz viel Wind zu machen, das
Bier für die Arbeiter abzuladen und dann mit schwarzem Hut und einem lässigen
Spruch wieder davonzufliegen.
Nach
lässiger Konversation war dem schwarz behüteten Chef der »Fiesder Airlines« in
diesem Moment allerdings wirklich nicht. Als ihn das Taxi an der Halle des
Landeplatzes in Hohengüßbach absetzte, war er innerlich auf einhundertachtzig,
und als weder Hubschrauber noch Pilot zu sehen waren, durchbrach er mit Wucht
die Zweihundert-Grenze. Statt eines Helis stand mitten auf dem Landeplatz ein
schrottreifer alter Lastwagen mit zerfetzter Plane, den er noch nie zuvor
gesehen hatte. Auch dieser Umstand konnte die Laune Georg Fiesders nicht in den
grünen Bereich anheben. Mit der Anmut eines Leopard Panzers walzte er in
Richtung Büro, um endlich herauszufinden, was, verdammt noch mal, in seiner
Firma eigentlich los war.
Im
kleinen Büro des Hangars fiel ihm sofort auf, dass der Schlüssel für den
Helikopter am Brett fehlte. Außerdem brannte überall das Licht, sowohl in der
Halle als auch hier im Büro. Auf dem Schreibtisch neben dem Flugbuch stand noch
eine halb volle Flasche Bier. Ein furchtbarer Verdacht keimte in ihm auf. Hatte
sich sein teuer bezahlter Pilot Albrecht Kaim etwa einen hinter die Binde
gekippt und unternahm jetzt einen kleinen Privattrip? Georg Fiesder schwoll der
Kamm. Womöglich hatte sein Knecht sich auch noch irgendeine Architektenschnecke
auf irgendeiner Baustelle aufgerissen und machte jetzt einen auf »Hasch mich,
ich bin der Frühling«? Konnte man sagen: »Hi, ich bin Pilot, willste mal
mitfliegen?«, dann war das mit den Mädels wesentlich einfacher als
beispielsweise mit einem Fiat Panda.
Fiesder
verließ das Flugbüro und blieb im hubschrauberleeren Hangar stehen, um sich
sein weiteres Vorgehen zu überlegen. Sehr viele Möglichkeiten gab es nicht. Er
konnte die Polizei rufen, allerdings konnte das teuer für ihn werden, wenn die
eine Hubschraubersuche starteten, oder er konnte abwarten, aber das konnte noch
teurer werden. Vielleicht hatte der liebe Albrecht den Heli ja auch einfach
geklaut? Dann könnte er ein paar billige Schlagetots aus der Zapfendorfer
Unterwelt organisieren, die dem guten Kaim nach seiner Rückkehr mal so
richtig …
Aus dem
hinteren Teil der Halle drang ein leises Klopfen an sein Ohr. Misstrauisch
wandte Fiesder sich um, aber das Klopfen wiederholte sich. Jemand schien von
innen gegen die Metalltür des Raumes für das Flugbenzin zu hämmern. Als der
Bauunternehmer in Richtung des Geräuschs ging, sah er, dass die Tür mit einer
massiven Fahrradkette gesichert war. Zum Glück steckte in ihrem Schloss noch
der Schlüssel, sodass er sie schnell entfernen konnte.
Als er
die Tür öffnete, traute er seinen Augen nicht. Vor ihm, auf dem staubigen
Betonboden des Benzinraumes, lag sein Albrecht Kaim, die Hände waren ihm mit
Kabelbindern auf den Rücken gefesselt worden. Der Anblick, den sein Pilot bot,
war als erbärmlich zu bezeichnen. Seine Kleidung war durchgescheuert und voller
Staub, die Haare hingen ihm wirr und zerzaust ums Gesicht. Und das, was er am
Boden liegend an Sprache absonderte, war absolut unverständlich. Die
Stimmbänder Kaims waren durch stundenlanges verzweifeltes Rufen völlig
derangiert und hissten bereits seit Längerem die weiße Flagge. Als er seinen
Chef erkannte, entrang sich seiner gequälten Kehle eine Art freudiges Grunzen,
und er versuchte sich mit der letzten Kraft, die ihm noch
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