Der Colibri-Effekt
Schlüsselbund herum,
bis er den entsprechenden Schlüssel gefunden hatte. Er öffnete die quietschende
Tür und sah sich um. Die Halle war gefüllt mit Oldtimern aller Art. Pkw,
Motorräder, Traktoren. Eigentlich hielt alles noch Winterschlaf, und bei den
meisten der Fahrzeuge war sogar die Batterie noch ausgebaut, doch dann fiel
sein Blick auf einen Traktor, an dem noch frischer Boden von einem Einsatz
klebte. Es war ein silbergrauer Eicher, mit dem er erst letzte Woche Holz aus
seinem Wald in Zapfendorf gerückt hatte. Das gute Stück aus dem Jahre 1959 war
wahrscheinlich das einzig fahrbereite Gefährt in der Halle. Egal, ein Taxi
würde er jedenfalls nicht mehr benutzen. Viel zu teuer, diese Gauner.
Er schob
das Rolltor der Halle auf und startete den alten Traktor. Der Auspuff des
Eicher spuckte dreißig Zentimeter oberhalb des schwarzen Fiesder’schen Hutes
eine dunkle, schwarze Rauchwolke aus, während der Vierzylinder mit einem
schwerfälligen »Gulp, gulp!« zu laufen begann. Der ungeduldige Bauunternehmer
steuerte den Oldtimer aus seiner Halle hinaus und machte sich umgehend mit
durchschnittlich circa zweiundzwanzig Stundenkilometern auf den Weg zur
Polizeiinspektion in Bamberg.
Sie
schaffte es gerade noch, mit einem erschrockenen Pfeifen das gut getarnte Nest
zu verlassen, als ein stinkendes graues Eisenmonster mit großen Rädern an ihr
vorüberrollte, auf dem ein kleiner, zornig blickender Mann mit schwarzem Hut
saß.
So
schnell, wie es gekommen war, so schnell verschwand das Monster mit dem
schwarzhütigen Giftpilz am Steuer auch wieder mit einem leiser werdenden »Gulp,
gulp, gulp!« am Horizont.
Als sich
die Flussregenpfeifferin nach einigen Schrecksekunden wieder ihrem Nest
zuwandte, blickte sie in zwei große, lange und tiefe Canyons, die das ehemals
schmucke Feld von links nach rechts durchzogen. In einem der beiden Gräben
waren die Umrisse ihres Nestes samt Inhalt noch am Grund zu erkennen. Das Nest
lag nun zwar besser geschützt tief in der Erde, war allerdings auch nur noch
zweidimensional existent und bildete das Profil eines grobstolligen Traktorreifens
der Firma Goodyear ab.
Die
Flussregenpfeifferin war höchst verärgert und aufs Tiefste frustriert. Der
Frühling ging ja wieder gut los. Schlagartig kam ihr eine Idee. Wie war das
noch mal? Ein Blitz schlug niemals zwei Mal in den gleichen Baum ein, und sehr
wahrscheinlich verhielt es sich mit menschlichen Traktoren nicht anders.
Entschlossen begab sie sich auf den Grund der Traktorspur und begann auf den
Fundamenten des alten Nestes ein neues Zuhause zu errichten.
Die
Flussregenpfeifferin bewegte sich auf einem für ihre Vogelgattung sehr
ungewöhnlichen Gebiet. Normalerweise beliebten die kleinen scheuen Vögel, ihr
Gelege in Flussniederungen wie etwa am Main, der Itz oder der Baunach zu
platzieren. Aufgrund traumatischer Erlebnisse in den letzten Jahren, die die
übliche Flussregenpfeiffer-Vermehrung mittels Eierlegen und dem anschließenden
Ausbrüten verhindert oder zumindest massiv erschwert hatten, hatte sich dieses
weibliche Muttertier zu einem radikalen Umdenken entschlossen. Zertretene Brut,
Frauenleichen auf dem Gelege, rabiate Biberfamilien? Nein, es war Zeit, im Zuge
der evolutionären Weiterentwicklung ihrer Art neue Wege zu beschreiten. Raus
aus den beengten Flusstälern voller Naturgewalten und naiv-fränkischer
Tollpatsche. Auch wenn es gegen ihre ureigensten Instinkte verstieß, konnte das
so auf keinen Fall weitergehen. Außerdem war dieses hübsche Feld auf einem
Höhenrücken mit vielen kleinen Steinen, die Flusskies ähnelten, fast genauso
gut wie eine Kiesbank am Fluss.
Aufgeregt
scannte sie noch einmal die Umgebung. Nichts und niemand war zu sehen oder zu
hören, nur das leise Rauschen des Windes. In der freudigen Erwartung, die jeder
werdenden Mutter innewohnt, spreizte sie die Flügel und ruckelte sich auf dem
Nest zurecht. In allernächster Zeit würde sie nun ihre Eier in dieses
wundervolle, gut getarnte Nest legen. An den Vater der Brut verschwendete sie
allerdings keinen Gedanken mehr. Der war ein absoluter genetischer Fehlgriff
ihrerseits gewesen, ein unüberlegter One-Night-Stand in einem Holunderstrauch
nahe Ebensfeld. Eigentlich war er ein hübscher Kerl, aber den tiefen Teller
hatte er nicht gerade erfunden. Außerdem war er sehr unzuverlässig und
allgemein eine rechte Schlappsau. Schon sein dämlicher Anmachspruch hätte sie
stutzig machen müssen. »Hi, Süße. Ich bin so schlecht im Bett, das
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