Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
Vom Netzwerk:
Haderlein dem Baron im
Bamberger Klinikum einen Besuch ab, der sich allerdings als eine sehr
einseitige Angelegenheit erwies. Der Baron war noch immer alles andere als
vernehmungsfähig. An Schläuche, Kabel und sonstige Apparaturen angeschlossen
lag er im künstlichen Koma auf der Intensivstation. Zwar habe man ihn
stabilisiert und er sei außer Lebensgefahr, berichteten ihm die Ärzte, aber das
sei auch schon alles Positive, was man über seinen Zustand sagen konnte.
    Haderlein
verließ das Klinikum unverrichteter Dinge und machte sich erneut zur
Burgbaustelle der Stufenburg nach Baunach auf. Er wollte sehen, wie die
Arbeiten dort ohne den Spiritus Rector Rotenhenne vorankamen, und den
Anwesenden das Phantombild von dem Geköpften zeigen. Vielleicht wusste ja einer
der Arbeiter irgendetwas über den Mann. Jede Kleinigkeit musste jetzt effizient
verwertet werden.
    Auch über
seine eigene Verzweiflung machte er sich Sorgen. In seiner gesamten
Berufslaufbahn hatte er sich bisher nie zu tief in einen Fall hineinziehen
lassen, niemals war es zu persönlich für ihn geworden. Mit dem Verschwinden
Lagerfelds hatte sich das geändert. Wenn ein Kollege augenscheinlich in
Lebensgefahr stecken konnte, dann war das eine andere Situation. Er schaffte es
nicht, sich wie sonst gefühlsmäßig herauszuhalten.
    Als er
den Weg hinter Baunach zur Baustelle hinaufgefahren war, sah er schon von
seinem Parkplatz vor dem Burgtor aus, dass die Baustelle ruhte und stattdessen
eine Art Betriebsversammlung im Gange war. Als er durch das Tor trat, löste
sich die Versammlung gerade auf, und die Architektin kam mit einem Handwerker,
mit dem sie heftig diskutierte, in seine Richtung gelaufen. Sie bemerkte
Haderlein erst, als sie ihn fast umrannte.
    »Ach,
Herr Kommissar!«, rief sie erschrocken. »Ich habe Sie überhaupt nicht gesehen.
Lassen Sie uns doch gleich in den Bauwagen gehen, da sind wir ungestört.«
    »Sie
meinen die Bauleitung?«, meinte Haderlein ironisch, und die junge Architektin
musste lachen.
    »Genau, die
Bauleitung. Das hier ist übrigens Horst Geißendörfer, Herr Kommissar, unser
Arbeitervertreter.« Haderlein schüttelte dem stämmigen jungen Mann mit dem
gelben Bauhelm die Hand.
    »Sagen
Sie, was war das für eine wichtige Versammlung, die gerade abgehalten wurde?
Die Leute sahen ja nicht allzu glücklich aus.«
    Statt der
Architektin antwortete Horst Geißendörfer. »Wir haben eine Grundsatzdiskussion
führen müssen. Hildegard hat die Versammlung einberufen, um darüber abstimmen
zu lassen, ob wir weiterarbeiten sollen oder nicht. Wir können doch nicht
einfach zur Tagesordnung übergehen, während der Baron um sein Leben kämpft.«
    »Aha«,
sagte Haderlein neugierig, »und wie ist das Ergebnis ausgefallen?«
    »Die
Mehrheit hat gegen meinen Willen beschlossen, die Arbeiten fortzuführen«,
erwiderte die Architektin sichtlich enttäuscht.
    »Aber
doch nur, weil wir der Meinung sind, dass das im Sinne des Barons wäre. Er
würde wollen, dass wir weitermachen«, schaltete sich Geißendörfer wieder ein.
»Außerdem würde das Projekt ja faktisch sterben, würden wir die Bauarbeiten
unterbrechen. Würden wir alle freiwilligen Arbeiter nach Hause schicken, hätte
das das Aus für das Burgprojekt zur Folge. Hildegard war zwar der Meinung, dass
es sich verbietet, auch nur einen Handschlag zu machen, solange der Baron im
Koma liegt, aber na ja, eine Zwischenlösung gibt es in so einem Fall eben
nicht.«
    Haderlein
schaute zur Architektin hinüber, die resigniert mit den Schultern zuckte. Nun
gut, der Hauptkommissar konnte die Zwangslage verstehen, und beide Standpunkte
hatten ihre Berechtigung. Das mussten die Beteiligten unter sich ausmachen, da
würde er sich nicht einmischen.
    »Ich
möchte Ihnen etwas zeigen«, wechselte er das Thema und zog das Phantombild
hervor, das die Spezialisten von dem Kopf des Getöteten erstellt hatten. »Es
ist nur eine Phantomzeichnung, aber vielleicht kommt die Person Ihnen oder
einem Ihrer Arbeiter ja bekannt vor.« Er hatte die Zeichnung kaum auf den Tisch
des improvisierten Büros gelegt, als Hildegard sie umdrehte. »Es tut mir leid,
Herr Haderlein, aber ich kann das heute nicht mehr ertragen.« Sie kämpfte
sichtlich mit den Tränen. »Aber ich werde das Bild morgen den Arbeitern zeigen,
okay? Sie gehen sowieso gerade nach Hause.« Sie schien der völligen Erschöpfung
nahe zu sein.
    »Das ist
kein Problem«, beruhigte Haderlein sie sofort. »Rufen Sie mich einfach an, wenn
es jemanden

Weitere Kostenlose Bücher