Der Colibri-Effekt
Kurzentschlossen trat er auf einen jungen
dunkelhaarigen Mann zu, der den Weg zum Parkhaus recht lässig herauflief.
»Entschuldigung,
könnten Sie mir vielleicht sagen, wie ich von hier am schnellsten zum
Marktplatz komme?«
Der Mann
mit der XXXXL -Hose und bunten Baseballmütze, die
er sich wohl aus modetechnischen Gründen auch noch quer auf den Kopf gesetzt
hatte, musterte ihn skeptisch von oben bis unten. »Ey, Alter, willst du mich
anmachen, oder was? Is ja voll krass, ey, du weißt die Tour zum Markt nicht? Is
voll easy, kostet dich aber ‘nen Euro, alles klar, Bruder?«
Sein
Gesichtsausdruck signalisierte Fidibus eine hundertprozentige Intoleranz die
Verhandlungen den Preis der Auskunft betreffend. Konsterniert gab er dem
Freizeitrapper einen Fünf-Euro-Schein, da er es nicht kleiner hatte.
»Ey,
cool, Alter, echt fettes Trinkgeld.« Vor Freude boxte der Eminem-Verschnitt Fidibus
kumpelhaft gegen die Schulter.
Robert
Suckfüll begann nervös zu werden. Was war das für eine merkwürdige
Kommunikationsweise, was für ein seltsames Outfit? War der Kerl womöglich gar
nicht echt? Vielleicht war er ein Spion, ein Doppelagent? Vielleicht war alles
nur eine Falle, und er befand sich völlig auf sich allein gestellt in der
Coburger Innenstadt und war, wie ihm jetzt schmerzhaft bewusst wurde, auch noch
unbewaffnet. So unauffällig wie möglich sondierte er die in Frage kommenden
Fluchtmöglichkeiten.
»Da vorn
links, nach hunnert Meter noch amal links, und dann biste voll am Ziel, Bruder,
klar?« Mit diesen Worten und einem extrem wiegenden Schritt ging der 007 für
Arme davon.
Fidibus
atmete tief durch und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der
Stirn. Das war ja gerade noch einmal gut gegangen. Er steckte das
durchfeuchtete Tuch wieder weg und folgte der Wegbeschreibung des jungen
Mannes. Und siehe da, nach zwei Minuten öffnete sich vor ihm ein großer Platz
mit dampfenden Bratwurstbuden und fröhlichen Menschen. Direkt daneben, welch
glückliche Fügung des Schicksals, entdeckte er ein Eckhaus mit einem kleinen
Geschäft, auf dessen Schaufensterscheibe in dezenter Schrift geschrieben stand:
»Breithut – Tabakwaren«.
Sein
erster Reflex war es, sofort in das Geschäft zu stürmen und seine
Aufgabenstellung abzuarbeiten, aber sein Kopf wurde unwiderstehlich um neunzig
Grad nach links zu den Bratwurstbuden gezogen. Er hatte Hunger. Schließlich war
er jetzt seit über zwei Stunden zu Fuß unterwegs, das hatte er das letzte Mal
in seinem Studium gemacht. Er hatte Unterzucker, er brauchte jetzt unbedingt
eine Mahlzeit. Er war es gewöhnt, jeden Tag exakt zur gleichen Zeit zu essen,
vormittags kalt, mittags warm und abends wieder kalt, und sein Mittagessen war
mehr als überfällig. Aber wenn er jetzt zu dieser Bratwurstbude ging, und bis
zu der waren es locker fünfzig Meter über den Platz, dann würde er womöglich
diesen Breithut nicht mehr wiederfinden. Egal, sein Stoffwechsel befand sich im
Ausnahmezustand. Den Tabakladen immer im Auge behaltend ging er rückwärts bis
zur nächstgelegenen Bratwurstbude, an deren Holzwand er mit einem lauten
»Pock!« seinen Hinterkopf anschlug. Er rieb sich die schmerzende Stelle und
wandte sich der Budenbesitzerin zu. Der Abzug des kleinen Kamins im Wagen
musste wohl irgendwie kaputt sein, denn es qualmte mehr vorn aus der Bude
heraus als aus ihrem kleinen Schornstein.
Fidibus
ließ einen Hustenanfall über sich ergehen, dann keuchte er mühsam: »Eine
Bratwurst ohne Senf.«
»Is
recht«, erhielt er von der rundlichen Budenbetreiberin die Antwort. »Macht dann
zwei Euro.«
Während
Fidibus nach dem Geld fummelte, bemerkte er etwas sehr Gefährliches am
betriebenen Grill der Bude, das die einfältige Frau wohl nicht zur Kenntnis
nehmen wollte. »Entschuldigen Sie, gute Frau, aber Ihre Kohle brennt. Schaun
Sie doch mal die Flammen an. Die Bratwürste werden schon ganz dunkel. Das ist
doch sehr gefährlich.«
»Des kört
so, des sin Kiefernzapfen, mei Guder«, fertigte sie ihn ab. »Des muss so sei,
sonst werd die Worscht nix Gscheiits.«
»Aber
offenes Feuer am Grillgut, das verstößt doch sicher gegen irgendeine EU -Verordnung«, zweifelte Fidibus weiter. Am liebsten
hätte er einen Eimer Wasser über die Brandstelle geschüttet.
»Vo mir
aus. Was geht mich die EU a, guder Mo. Die
solln lieber guggen, dass se ihr Geld vo die Griechen griechen. – Der
Nächste!«, rief sie dann und hatte Robert Suckfüll bereits vergessen.
Der war
ob ihrer
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