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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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als
ziemlich ambivalent dar. Zwar befand er sich im Zentrum des Geschehens und an
der Quelle aller Informationen, doch schienen die beiden Schlüsselfiguren, die
den Fall hätten aufklären können, beschlossen zu haben, ihn nicht mitspielen zu
lassen. Die beiden Herrschaften hatten ihn mit irgendeinem Mittelchen einfach
außer Gefecht gesetzt.
    Wieder
wurde ihm schwindlig, und er musste sich am Toilettendeckel festhalten. Als er
es nach mehreren Anläufen geschafft hatte, seine Beinkleider wieder zu
befestigen, machte er sich auf die abenteuerliche Expedition zurück zu Tina,
die ihm bereits eine große Tasse Kaffee auf den Tisch gestellt hatte. Daneben
lag ein Briefumschlag, der sich auffällig wölbte, und ein schwarzes
Mobiltelefon von HTC . Als er sich auf seinen vier
Buchstaben niedergelassen und den ersten Schluck vom Kaffee getrunken hatte,
schaute er Tina erwartungsvoll an.
    »Wie
lange habe ich eigentlich gepennt?«, fragte er. Irgendwie musste er ja mit Tina
ins Gespräch kommen.
    »Fast
zwei Tage«, meinte sie lächelnd, während Lagerfeld schier die Augen aus den
Höhlen traten.
    »Zwei Tage?
Das kann doch gar nicht sein«, entfuhr es ihm, und der Kaffee drohte über den
Rand der Tasse zu schwappen. Blitzartig durchfuhren ihn Gedanken an Ute,
Haderlein und all die anderen, die daheim auf ein Lebenszeichen von ihm
warteten.
    »Na ja,
es waren eineinhalb Tage«, sagte Tina Schweigert gnädig und lächelte ihn an.
»Schau raus, es ist schon dunkel. Die Welt schläft, und ihr seid gestern Morgen
hier gelandet. Du hast dich wirklich sehr lange ausgeruht.« Sie lächelte milde.
»Mein Vater ist sehr gut in solchen Dingen.«
    Lagerfeld
lachte zynisch. »Du meinst, er ist gut in solchen medizinischen Dingen, die man
sonst nur im Kriegsgeschäft braucht, oder?«
    Tina
ignorierte ihn und goss sich Tee aus ihrer Kanne nach. Dann zog sie ihren Stuhl
näher an den Tisch. Ihr sonst so hübsches Gesicht war eine undurchdringliche
Maske. »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass du etwas erfährst«, sagte sie und
schob den Umschlag und das Handy näher zu ihm. Lagerfeld öffnete den Umschlag:
Es befand sich ein Geldbündel norwegischer Kronen darin.
    »Die
Kronen und das Handy sind für dich. Einen schönen Gruß von meinem Vater und
Hans Günther soll ich dir ausrichten.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
»Du kannst damit und mit dem, was ich dir jetzt sagen werde, machen, was du
willst.« Sie sammelte sich kurz, dann begann sie zu erzählen.
    Als
Haderlein die Gerichtsmedizin in Erlangen betrat, fröstelte er. Das tat er
immer, auch im Sommer bei tropischer Hitze. Dass jetzt nur frühlingshafte
Temperaturen herrschten, machte es nur noch unangenehmer. Nie würde er
begreifen können, warum jemand einen solchen Beruf ergriff. Gerichtsmedizin.
Damit ging es ihm wie mit Angeln. Da saß man oft stundenlang am Ufer eines
Gewässers – und hatte immer noch nichts gefangen. Hauptsache, man sonderte
sich von dieser Welt ab und hatte mit dem restlichen Lumpenpack nichts zu tun.
    Gerichtsmediziner
waren so ähnlich drauf wie Angler. Auch sie bewegten sich nicht gern in der
real existierenden Welt. Die nettestmögliche Kommunikation bestand für einen
Gerichtsmediziner in der mit einem Toten. Die erzählten einem so viel, sagte
Siebenstädter immer. Natürlich war das aus der Sicht eines Bauchaufschneiders
richtig, aber für einen Normalbürger nicht nachvollziehbar. Es gab nicht wenige
dieser Zunft, die ernsthaft mit den Ausgebluteten, die vor ihnen lagen,
plauderten, während sie in ihren Eingeweiden herumwühlten. Immerhin waren die
Leichen in der Regel ja zu keiner Widerrede fähig. Eigentlich paradox, das
Ganze, da Medizinerehefrauen in der Regel ganz anders drauf waren.
    Mit solch
philosophischem Gedankengut umwölkt, begab sich Haderlein in die Katakomben von
Siebenstädters Reich. Seine Schritte hallten laut und einsam durch die Gänge.
Das Institut wirkte ausgestorben, nur eine Putzfrau wischte einsam und
verlassen am Ende des langen Flurs den Boden. Er wollte sie schon fragen, wo
denn alle wären, als er leises Lachen und Gläserklirren hörte. Misstrauisch
ging er die Treppe zum Sezierraum hinunter, während die Geräusche lauter
wurden. Er hatte sich nicht geirrt. Hier war eine Betriebsfeier oder Ähnliches
im Gange. Wie er befürchtet hatte, kam das Gelächter aus dem Sezierraum der
Gerichtsmedizin. Was gab es da bloß zu lachen und zu glucksen, um Himmels
willen? Vorsichtig stieß Haderlein die Pendeltür

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