Der Colibri-Effekt
gibt, der mit der Zeichnung etwas anfangen kann.« Er gab Horst
Geißendörfer sein Kärtchen und verließ mit einem angedeuteten Kopfnicken den
Bauwagen.
Völlig verschwitzt
stellte Robert Suckfüll sein Auto auf der obersten Ebene des Parkhauses »An der
Mauer« ab. Das allein war für ihn schon eine Expedition Richtung
Nervenzusammenbruch gewesen. Sein Mercedes war nicht gerade ein Kleinwagen und
dieses Parkhaus offensichtlich für die Normgröße Fiat Panda gebaut worden. Um
die ansteigenden Kurven in dem Puppenhaus zu bewerkstelligen, hatte er sich
schließlich dazu entschlossen, Dauerhupe und Aufblendlicht zu Hilfe zu nehmen,
was in wüste Beschimpfungen wie »Drecks Brose-Ingenieur!« oder »Blinder HUK -Arsch!« gemündet hatte. All das hatte ihn
erstaunlich kaltgelassen, aber als ihn eine ältere Dame in einem Polo als
»Haßfurter Waldbewohner« betitelt hatte, war er doch sauer geworden.
Wahrscheinlich durfte er froh sein, wenn die aufgebrachten Parkhausbewohner
sein Auto nicht zwischenzeitlich mit üblen Sprüchen beschmiert hatten, wenn er
später zurückkam. Wenn er überhaupt zurückkam. Zuallererst musste er diesen
Breithut in der Coburger Innenstadt finden und dann auch wieder den Rückweg. Er
verfügte über kein Navigationsgerät, das ihm den Weg wies. Früher hatte ja
seine Frau diese Rolle bei Außenterminen übernommen, doch die war nun
dummerweise mit Kinderaufzucht beschäftigt. Aber gut, er würde sich der
Herausforderung stellen und sie bewältigen – auch wenn er sich nur zu
Hause und in seinem Büro wirklich sicher fühlte. Ansonsten neigte er überall
schon mal gern zu Hektik und Orientierungslosigkeit.
Robert
Suckfüll war hochintelligent, er hätte genauso gut Notar werden können, doch
sein Innerstes hatte ihn davor gewarnt – und es hatte recht gehabt. Als
Notar wäre er ziemlich sicher als bleiche und weltfremde Hinterzimmerschranze
geendet. Er brauchte ein Leben, das ihn permanent forderte, sowie Menschen, die
ihm mehrmals am Tag auf die Sprünge halfen. Diese undankbaren Rollen hatten
gleich zwei Frauen in seinem Leben übernommen. Seine Gattin und Honeypenny. Wie
gesagt, Fidibus war nicht dumm, sonst hätte er es nie bis zum Leiter der
Bamberger Dienststelle geschafft, aber in seinem doch relativ kleinen Hirn
waren viel zu viele Gedanken unterwegs. Alles, was sich jenseits von Paragrafen
und ordnungspolitischen Dingen wie Uhrzeit oder Dienstzeiten bewegte, wurde von
seinen zwei Herzdamen mühsam kanalisiert und ihm nahegebracht. Sein Büro hatte
er damals abgefackelt, weil er seine glimmende Zigarre vergessen hatte, weil
ihn irgendetwas auf der Einkaufsliste seiner Frau irritiert hatte. Irgendwann
hatte er herausgefunden, dass es keine Einkaufsliste, sondern ein Strafzettel
vom letzten Jahr in der Bamberger Sandstraße gewesen war, doch im Augenblick
der späten Erleuchtung war bereits alles zu spät gewesen. Sein Büro hatte in
Schutt und Asche gelegen. Seitdem musste er in einem Glaskasten leben –
unter der Oberaufsicht Honeypennys, welche das Sorgerecht für ihn abends an
seine Frau abtrat.
Das waren
die schwierigen Grundvoraussetzungen für seinen heiklen Tagesauftrag. Ohne
weiblichen Beistand sollte er den Coburger Markt finden. Nun gut, er hatte ein
Studium beendet, und er hatte einen Stadtplan. Wenn er alles richtig analysiert
hatte, waren es vom Parkhaus bis zum Tabakwarenladen nur etwa hundertachtzig
Meter. Ein zuversichtliches Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, und
der Leiter der Polizeidienststelle Bamberg, Robert Suckfüll, stürzte sich in
die Menschenmassen, die den Moloch Coburg durchströmten. Mit dem Finger auf der
Karte schritt er zielsicher voran – und hatte sich binnen Minuten genauso
zielsicher verirrt. Verbissen versuchte er die kryptischen Hinweise und Zeichen
auf Karte und Verkehrsschildern zu entschlüsseln, dann stand er plötzlich vor
einer Tafel » FH Coburg Haupteingang«, und
ein hilfsbereiter Student der Innenarchitektur fuhr ihn zum Parkhaus mit dem
Hinweis zurück, dass er von hier aus eigentlich am schnellsten in der
Innenstadt sei. Fidibus bedankte sich überschwänglich und musste frustriert
statuieren, dass er ungefähr zwei Stunden verschenkt hatte. Noch einmal durfte
ihm das nicht passieren, er musste seine Navigationsstrategie ändern, seinen
inneren Schweinehund überwinden und etwas tun, woran sein männliches Ego noch
lange zu knabbern haben würde, aber egal.
Er würde
jetzt jemanden nach dem Weg fragen.
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