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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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Uneinsichtigkeit irritiert und noch dabei, sein Wechselgeld
einzustecken, als ihm an seiner original Coburger Bratwurst zwei Dinge
auffielen. Erstens: Diese Wurst war viel zu groß. Die Dimension des Grillgutes
überstieg die EU -Normgröße der fränkischen
Rostbratwurst um ein Vielfaches. Wer sollte so etwas denn essen? Zweitens: Die
Budenfrau hatte das Brötchen, in dem die Wurst lag, völlig falsch
aufgeschnitten. Nicht etwa der Länge nach, sodass die Wurst bequem zwischen den
beiden Hälften zu liegen kam, nein, sie hatte das Gebäck von oben nach unten
geteilt. Das war ja nun vollkommen sinnlos und unpraktisch noch dazu. So konnte
die Riesenwurst ja jederzeit herausfallen. Da musste ein Versehen vorliegen.
    »Entschuldigung«,
meldete Fidibus sich erneut an. Vorsichtshalber baute er in den folgenden Satz
einen klaren fränkischen Begriff ein. »Mein, Brötchen … also, äh, Brödla,
das ist in der falschen Richtung durchtrennt. So kann ich diese Bratwurst auf
gar keinen Fall –«
    Die
Budenbesitzerin drehte sich so ruckartig um, dass Suckfüll tatsächlich fast die
Coburger Spezialität aus seinem Brödla gefallen wäre. Ihre kleinen
Schweinsäuglein blitzten, und ihre Worte waren so schneidend wie eindeutig.
»Ja, wen hammer denn da, hä? An richtichen Gluchscheißer, oder was? Du dusd
jezd dei Worschd so essen oder lässt es. Außerdem heißt des Semmel in Coburch
und net ›Brötchen‹ oder – noch schlimmer – ›Brödla‹, du Bambercher
Breußenkopf. Und wenn dir des ned bassd, dann hol ich mein Mo, der machd
nacherd aus dir a weng a Gluchscheißergrillgud, streng nach EU - Norm! Jetzd schleich dich, du Kaschber. – Der
Nächste!«
    Erschrocken
und eingeschüchtert verließ Fidibus den Bratwurststand und begab sich auf den
Weg zu dem Tabakwarenladen. Da hatte man nur mal eine Frage, und dann passierte
einem so etwas. Das war ja mal wieder typisch für die Gegend.
    Nun gut,
wenigstens hatte er jetzt endlich etwas zu essen. Er würde sich mit dem Gehen
Zeit lassen, damit er dieses Monster von einer Bratwurst auch bis zum Laden
vernichtet hatte. Gerade wollte er genüsslich in das unbekannte
Geschmackserlebnis hineinbeißen, als er laute Schlagermusik vernahm und
Sekundenbruchteile später von hinten angerempelt wurde. In hohem Bogen flog die
Wurst davon und landete vor der Eingangstür des Tabakwarenladens im
Dreck – was einen großen struppigen Hund nicht davon abhielt, sich diesem
unerwarteten Leckerbissen sofort dankbar zuzuwenden. Dann rollte auch noch ein
Fahrrad knapp und fahrerlos an Fidibus vorbei, bevor es klappernd zu Boden
fiel.
    Als
Robert Suckfüll sich verblüfft umdrehte, stand ein mittelgroßer Mann mit
Sonnenbrille vor ihm und schaute ihn verärgert an.
    »Bass
halt auf!«, rief er laut und schrill. »Da is so viel Platz auf dera Welt, und
du musst dich grad dahie stelln.« Dann fing der seltsame Mann wieder laut mit
einer Art gebrülltem Gesang an, der sich schmerzhaft in Suckfülls Gehörgänge
bohrte.
    »Hören
Sie auf!«, rief er entsetzt. »Hören Sie sofort auf!«
    Schlagartig
verstummte die gebrüllte Version von »Bridge over Troubled Water«, und der Mann
starrte ihn hasserfüllt an.
    »Wie?
Wieso aufhörn?« Seine beiden Hände ballten sich zu Fäusten zusammen.
    Suckfüll
war nicht schon wieder bereit, seine Selbstachtung irgendeinem Spinner
preiszugeben. Was wahr war, musste auch wahr bleiben. »Wieso Sie aufhören
sollen? Was für eine blöde Frage. Sie beleidigen meine Trommelfelle. Das ist
kein Gesang, sondern eine Zumutung, Sie akustischer Taliban!« Diesmal war er
sich sicher, dass er sich auf der guten Seite der Macht befand, denn mehrere
der Umstehenden, die die Szene mittlerweile beobachteten, klatschten und
nickten zustimmend. Und trotzdem schwante Fidibus, dass er sich in der
seltsamen Coburger Innenstadtetikette schon wieder zu seinen Ungunsten vertan
hatte. Der Mann kam mit einem fanatischen Blick auf ihn zu, der jedem
islamistischen Selbstmordattentäter zur Ehre gereicht hätte. Seine Augen
loderten voller Entrüstung, mit seinem rechten Zeigefinger deutete er wie mit
einer Speerspitze angriffslustig auf Suckfülls Kopf.
    »Fei
Obacht, gell! Niemand tut mir des Singen verbieten, klar? Niemand, aach du net,
du Grawattenarsch! Den Gasseddenrekorder habt ihr mir scho abgenomma, aber des
Singen kann mir kaaner verbieden. Und wenn ich übermorchen weiderkomm, dann
werd ihr sowieso alle nur noch glodzen.« Er hob den Kopf und bedachte die
Umstehenden mit

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