Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
immer wieder die Oberlippe vor, um zu prüfen, ob er noch saß. Dann hörte ich Schritte draußen. Die Tür öffnete sich, ein Mann mit einer Lederschürze trat ein. In der Hand trug er ein Heft. Er hatte kleine, schmale Augen in einem runden Gesicht und eine kräftige Nase mit einer Delle über der Spitze. Ich stand steif auf, deutete ein Begrüßungsnicken an und sagte: »Guten Tag, Dr. Fricke mein Name. Ich bin Rechtsanwalt in Berlin.«
    Der Gemeindediener schaute mich an, als gehörte ich nicht in sein Zimmer. Er trat hinter den Tisch.
    »Es geht um eine Erbschaftsangelegenheit.« Ich öffnete die Aktentasche, die Erna mir gegeben hatte. Sie war zu alt, um zu meinem Anzug zu passen. Ich tat so, als nestelte ich in Unterlagen herum und zog dann einen Notizblock hervor. Der war unbeschriftet, aber ich studierte die erste Seite.
    »Ich bin sicher, Sie können mir helfen. Es soll Ihr Schaden nicht sein.«
    Der Gemeindediener stand und starrte.
    »Unsere Kanzlei Dr. Meyerhold, Dr. Fricke und Partner hat ein Telegramm erhalten.« Ich schaute in Ernas Tasche, als befände sich das Telegramm irgendwo darin. »Aus Amerika.«
    Der Mund des Gemeindedieners öffnete sich und schloss sich
    wieder.
    »Und in diesem Telegramm wird ein Testament angekündigt. Mein Auftrag ist, den Erben zu finden. Ich habe das von Berlin aus versucht, es ist mir nicht gelungen. Den Namen scheint es nicht zu geben. Oder wir haben ihn in unseren Unterlagen nicht gefunden. Wie heißen Sie?«
    »Hingsen, Oskar«, sagte der Gemeindediener.
    »Herr Hingsen, unsere amerikanischen Partner nehmen es mit Adressen leider nicht so genau. So sind die Amerikaner nun mal. In dem Telegramm steht« - ich schaute auf meinen Block - »also, da steht etwas von einem Gutshof Dirk.«
    Hingsen starrte mich an.
    »Kennen Sie einen Gutshof mit diesem Namen?«
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    »Kennen Sie jemanden, der mir vielleicht weiterhelfen könnte?«
    Er schüttelte den Kopf. Er starrte in eine Ecke, dann drehte er mir den Kopf wieder zu. »Einwohnermeldeamt«, sagte er.
    »Wo ist das bitte, Herr Hingsen?«
    Er zeigte mit dem Finger nach oben.
    Ich bedankte mich übertrieben und stieg die Treppe hoch. Es dauerte nicht lang, bis ich die Tür mit der Aufschrift Melderegister gefunden hatte. Ich klopfte und öffnete. Erstaunt blickte mir eine Frau entgegen. Sie war klein, untersetzt und trug eine Brille. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden. Sie schaute mich streng an und erwiderte meinen Gruß nicht. Ich ahnte, was ich verbrochen hatte. Ich hätte warten sollen, bis sie »Herein!« rief.
    »Haben Sie etwa nicht Ja gerufen?« fragte ich und tat bekümmert.
    »Ich bilde mir ein, es gehört zu haben.« »So«, sagte sie spitz. »So, so.«
    »Ja, wirklich.« Ich drehte mich um und ging wieder hinaus. Im Gang zählte ich bis fünf, dann klopfte ich. Nach einer Weile rief sie: »Herein!«
    Ich trat ein und grüßte. Sie erwiderte meinen Gruß mit dem Anflug eines Lächelns.
    Ich wiederholte meine Erbschaftsgeschichte und bat sie, mir bei der Suche nach einem Gutshof Dirk zu helfen.
    Sie öffnete einen Karteikasten und blätterte. Ihre Lippen formten lautlos Silben. Dann drehte sie sich zu mir und runzelte die Stirn. »Dirk, Dirk, Dirk«, sagte sie. Sie überlegte. »Ich dachte, ich hätte den Namen schon mal gehört. Wahrscheinlich fällt er mir heute abend ein. Im Register ist er jedenfalls nicht, Herr Rechtsanwalt. Sind Sie sicher, dass der Hof innerhalb unserer Stadtgrenzen liegt?«
    Ich glaubte Misstrauen zu sehen in ihren Augen.
    »Nein, keineswegs. In dem besagten Telegramm ist die Uckermark erwähnt. Vielleicht ist Dirk auch eine Abkürzung.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Ich sah meine Finger leise auf dem Tresen trommeln. Und ich sah ihren Blick auf meine Finger. Ich wischte mit der Hand über das Holz, als wollte ich das Trommeln ungeschehen machen. Da spürte ich einen stechenden Schmerz im Zeigefinger. Ein Splitter ragte mit dem Ende nur wenig aus der Haut, ein Tropfen Blut drängte sich vorbei an ihm. Sie folgte allen meinen Bewegungen mit den Augen. Ich wickelte mir ein Taschentuch um den Finger.
    »Vielleicht versuchen Sie es im Landratsamt. Da müssen Sie nur die Hauptstraße weiter hinunterfahren. Sie können es nicht verfehlen.«
    Ich verabschiedete mich höflich und verließ das Rathaus. Das Landratsamt war ein Steinkoloss, über dessen Pforte das preußische Wappen prangte. Der Pförtner warf mir einen kurzen Blick zu, als ich die

Weitere Kostenlose Bücher