Der Consul
Junge trat hervor, blond und selbstbewusst.
»Ich suche einen alten Freund, mittelgroß, blonde Haare, Locken, ein bisschen jünger als ich.«
»Der ist nicht mehr da!« rief ein Mädchen mit heller Stimme.
»Sei ruhig«, sagte der Junge.
»Wisst ihr denn, wo der Mann hingegangen ist?«
Schweigen. Zwei, drei Kinder schüttelten den Kopf.
Der Junge kam mir näher. »Warum wollen Sie das wissen?« Er schaute mich feindselig an.
»Ein Freund«, sagte ich und drehte mich um. Während ich den Hof verließ, meldete sich die Angst. Ich stellte mir vor, wie der Junge mir eine Mistgabel in den Rücken warf, und zwang mich, langsam zu gehen. Als ich im Auto saß, spürte ich die Erleichterung, ich war schweißnass. Es war ein Stoßtruppunternehmen gewesen wie im Krieg, genauso gefährlich. Und wahrscheinlich mit Folgen. Kein Zweifel, Dirksen würde bei Ehrhardt in Österreich nachfragen, und sie würden versuchen herauszufinden, wer ich war. Wenn sie eins und eins zusammenzählten, sollte es nicht lange dauern.
Vom Hof näherte sich ein Mann, ich startete den Motor und fuhr rasch los. Wenn sie das Nummernschild aufschrieben, würde ich die letzte sichere Bleibe verlieren. Und Erna ihr Leben.
Auf dem Weg nach Zehdenick ertappte ich mich beim Pfeifen, »Auf, auf zum fröhlichen Jagen«. Ehrhardt war der Konsul in Olendorffs Notizbuch. Er war die Spinne im Netz, der Mann, dem Olendorff, Koletzke, Engert und auch Alexander gehorchten. Und wohl noch ein paar andere. Was war der nächste Ansatzpunkt? Der Motorboot-Klub. War doch nur logisch, ein Kapitän benutzte einen Motorboot-Klub als Tarnung.
Die Nacht brach herein, ich fuhr langsam, die Scheinwerfer erhellten das Kopfsteinpflaster. Als ich den Wagen in die Scheune fuhr, stand mein Plan fest. Im Haus war es dunkel, ich stieg die Treppe hoch zu meiner Kammer und blätterte im Notizbuch. Ich mühte mich, Stellen zu entziffern, in denen der Konsul erwähnt wurde. Ein paar schienen mir plausibel zu sein. Kons. g. Nz stand da mit dem Datum 12. Aug. Ohne Zeitangabe folgte wenige Seiten später Cons. Hintergr., in der Mitte Kons.: R., G., Str. Der Schlüssel zum Verständnis von Olendorffs Notizbuch war das Wissen um den Konsul, der mal mit K, dann wieder mit C geschrieben wurde. Offensichtlich hatte Olendorff die Befehle des Konsuls aufgeschrieben, aus Pedanterie oder um sich zu rechtfertigen. Kons. g. Nz konnte heißen Konsul gegen Nazis. Bei Kons.: R., G., Str. mochten die Initialen stehen für Röhm, Goebbels, Strasser. Wollte Ehrhardt mit denen zusammen konspirieren? Wenn ja, gegen wen? Und wurden die drei ermordet, weil die Verschwörung aufflog? Oder ließ der Konsul die drei Naziführer ermorden? Wenn ja, warum? Ich blätterte und suchte einen Verweis auf Hitler, ich fand keinen.
Ich zündete mir eine Zigarette an und lehnte mich zurück. Nun klopfte an, was mich unterbewusst beschäftigt hatte, ich erinnerte mich an die Anschlagserie gegen Erzberger, Rathenau, Scheidemann und Harden. Es hatte verschiedene Gerichtsverfahren gegeben, eines auch gegen eine Organisation Consul, die »OC«. Der Prozess verlief im Sand, manche in der Polizei hatten sich aufgeregt über die Laschheit der Staatsanwaltschaft. Mir schien es nun sonnenklar. Die Organisation Consul war nicht tot, sie betrieb noch immer ihr Geschäft, und das hieß Mord und Verschwörung. Und Ehrhardt war ihr Leiter.
Die Haustür klapperte. Ich löschte das Licht in der Kammer und öffnete die Tür. Unten stand Erna, sie grüßte gutgelaunt. »Schon was gegessen?«
Ich setzte mich zu ihr in die Küche, während sie Bratkartoffeln und Speck in der Pfanne briet.
»Kennst du einen, der mir ein neues Nummernschild besorgen könnte, am besten nicht aus Berlin.«
»Willst du unter die Autodiebe gehen?«
»Ich will nach Berlin fahren und nicht gleich auffliegen.«
»Nimm meine Schilder und schraub deine an mein Auto. Ich werde es irgendwann merken und zur Polizei fahren. Wieviel Zeit brauchst du?«
»Ich fahr in die Stadt und stell den Wagen ab. Mehr nicht.«
»Dann tu es. Heißt das, ich bin dich los?«
»Du musst die Polizei heute anrücken lassen und dich mit fünftausend Mark begnügen.«
»Gute Idee. Aber vielleicht genügt es mir, Kowalski auf die Pelle zu rücken. Bei dem fällt vielleicht mehr ab. Dankbarkeit ist ein prima Geschäft. Da gibt es keine Krise.«
*
Erna sagte nur »Bis dann!«, als ich am Morgen losfuhr. Ich hatte sie gebeten, das Fotoalbum und Olendorffs Notizbuch zu verstecken. Mit
Weitere Kostenlose Bücher