Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
Eingangshalle betrat. Er hielt mich nicht an, zu Kaisers Zeiten wäre das unmöglich gewesen. In der Halle hing ein großer Wegweiser an einer Wand, daneben eine Karte des Landkreises Uckermark. Ich studierte die Karte von Süden nach Norden und dann von Ost nach West. Gutshöfe waren nicht eingezeichnet, einen Ort mit der Anfangssilbe Dirk schien es nicht zu geben. Ich fluchte leise vor mich hin. Es war sinnlos, eine Silbe zu suchen in einem so großen Gebiet. Und es war gefährlich, in Ämtern herumzulaufen, ohne zu wissen, was man wo suchen will. Einen Gemeindediener und eine Beamte des Einwohnermeldeamts mochte ich beeindrucken, im Landratsamt sah es möglicherweise schon anders aus.
    Ich gab auf. Vielleicht konnte ich versuchen, nach Berlin zu fahren und mich mit Wohlfeld zu treffen. Er würde mich nicht verraten, und ich konnte meine Ermittlungen mit seiner Hilfe voranbringen. Würde er mich wirklich nicht verraten? Ich wurde als Mörder gesucht, eine Prämie war jedem Beamten sicher, der mich fasste. Wohlfeld hatte Frau und Kinder, die Verlockung musste groß sein. Und wenn herauskäme, dass er mir half, würden sie ihn rausschmeißen und anklagen.
    Auf der Rückfahrt nach Zehdenick hätte ich fast einen Mann überfahren, der einen Leiterwagen zog. Ich sah ihn im letzten Augenblick und riss das Steuer nach links, dann nach rechts, um nicht im Straßengraben zu landen. Der Ford schlingerte, blieb aber auf der Straße. Ich fluchte und schimpfte mit mir. In Zehdenick stellte ich den Wagen in die Scheune neben den geliehenen Laubfrosch. Wenn man es genau sah, war ich auch noch Autodieb geworden.
    Erna saß in der Küche und rauchte. Sie blätterte in einer Zeitung.
    »Schon wieder da«, sagte sie. »Hast wohl Sehnsucht nach mir gehabt. Bild dir bloß nichts ein. Hier gibt es nichts umsonst.« Sie lachte, während sie sprach. »Du hast Glück, in Berlin läuft einer rum und schlitzt meine Kolleginnen auf, schon drei. Diesen Dreckskerl suchen sie wie verrückt. Haben es bisher geheimgehalten, jetzt läuft ne Riesenfahndung. Keiner interessiert sich mehr für so einen kleinen Mörder wie dich.«
    Ich fragte nicht, warum ihr das Schicksal ihrer Kolleginnen gleichgültig zu sein schien. Vielleicht war es der Schrecken, der sie lachen ließ. Die neue Fahndung der Berliner Polizei nutzte mir jedoch nur ein bisschen. Auch wenn die Leute jetzt mehr auf den Hurenmörder achteten, würde die Polizei mich nicht vergessen. Ich nahm mir einen Teil von Ernas Zeitung.
    »Gibt’s umsonst, ausnahmsweise«, sagte sie.
    Ich blätterte und versuchte meine Enttäuschung zu beherrschen.
    »War nichts, dein Ausflug«, sagte Erna.
    Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich umblätterte, wusste ich schon nicht mehr, was ich gelesen hatte. Mein Hirn arbeitete an einer anderen Sache. Irgend etwas zwang mich, zur vorletzten Seite zurückzublättern. Unbewusst hatte ich etwas gelesen, eine Überschrift, ein Wort, irgend etwas. Ich fand es nicht mehr.
    »Willst du nun Bauer werden?« fragte Erna.
    Ich antwortete nicht und las. Jede Zeile, jedes Wort. Es ging um Steckrüben, das Wintergetreide, Schweinepreise. Und dann fand ich es. Der Artikel war überschrieben Sommerfest in Blankenburg. Es würde stattfinden auf dem Gutshof einer Familie von Dirksen. Und wenn Dirk stand für Dirksen? Dann hieß Alexander/Dirk/Uck., dass Alexander sich bei der Familie Dirksen in der Uckermark versteckte. Da scheuchte ich in Prenzlau die Hühner auf, und die Spur lag auf dem Küchentisch. Den Wegweiser nach Blankenburg hatte ich auf meiner Fahrt nach Prenzlau schon gesehen.
    »Hast du was gefunden?« fragte Erna.
    »Kann sein. Ich muss noch mal los.«
    »Jetzt?«
    »Jetzt.«
    Auf dem Weg zurück in Richtung Prenzlau legte ich mir zurecht, wie ich vorgehen konnte. Einfach klingeln war idiotisch. Jedenfalls, wenn er da war. Und bestimmt hatte Alexander sich einen Decknamen zugelegt. Ich entdeckte den Wegweiser und bog rechts ab. Die Abendsonne blendete rot. Die Bäume der Pappelallee warfen lange Schatten. Ich fuhr ins Dorf hinein und sah bald einen Gutshof. Ich hielt an. Am Ende der Straße sah ich eine Frau mit einer Harke auf der Schulter. Sie kam auf mich zu. Als sie auf meiner Höhe war, sagte ich: »Schön, dieser Dirksen-Hof.«
    Sie schaute neugierig ins Auto und lief weiter. Im Rückspiegel sah ich, wie sie sich umdrehte, dann schüttelte sie den Kopf und wurde kleiner. Auf den Bäumen zwitscherten Vögel, in der Ferne kläffte ein Hund. Ein Pferdefuhrwerk

Weitere Kostenlose Bücher