Der Consul
den vertauschten Kennzeichen und in meiner Maskerade fühlte ich mich einigermaßen sicher, ein Opel Laubfrosch war nichts Besonderes. Ich fuhr auf kürzestem Weg Richtung Treptow, dann über die Berliner in die Oberspreestraße. In einer Seitenstraße stellte ich den Laubfrosch ab. Dann durchsuchte ich ihn nach Spuren und wischte meine Fingerabdrücke von Lenkrad, Schalthebel und Armaturenbrett. Den Schlüssel legte ich ins Handschuhfach, Olendorffs Luger steckte ich in meinen Gürtel. Irgendwann würde der Wagen auffallen, die Polizei würde dann feststellen, dass er die falschen Kennzeichen trug. Sobald Erna den Verlust ihrer Nummernschilder gemeldet hatte, würde die Polizei den Wagen Burstein zurückgeben. Ich hätte mich gern bei ihm entschuldigt, aber Lebensgefahr war dafür ein zu hoher Preis.
Es war ein Maisonntag wie im Bilderbuch. Die Sonne blendete, als ich mich dem Motorboot-Klub näherte. Es war viel los. Ein Spaziergänger sollte nicht weiter auffallen, und so betrachtete ich vom Zaun des Klubgeländes aus das Treiben. Es waren fast nur Männer dort, sie trugen teure Kleidung. Einige saßen an Tischen und tranken etwas, andere beschäftigten sich mit Booten. Am Ufer wurde eine kleine Jacht ins Wasser gelassen. Es war wie auf dem Ku’damm, die Reichen prassten in Tanzcafés und Nachtbars, während die Armen hungerten in feuchten und finsteren Mietskasernen.
Dann sah ich Alexander. Er sprach mit einem Mann, der einen Anzug und eine Schirmmütze trug. Der Mann ging, und Alexander verschwand im Bootshaus. Offenbar fühlten sie sich sicher, seit die Ermittlungen abgeschlossen waren und ich auf der Fahndungsliste stand. Ich überlegte, wie lang das Bootshaus geöffnet war, wohl bis zum Sonnenuntergang. Bis dahin würde auch Alexander beschäftigt sein. Ich spielte meine Rolle als Spaziergänger weiter, lief am Ufer ein Stück, aß in einem einfachen Restaurant ein Pferdefleischgulasch, las Zeitung, setzte mich am späten Nachmittag in ein Café. Ich verlor bald die Furcht, entdeckt zu werden, die blonden Haare und der Bart schützten mich einigermaßen. Nur einmal bekam ich Angst, als zwei Schupos fast meinen Weg gekreuzt hätten. War ein erfahrener Beamter darunter, konnte er mich erkennen. Ich sah sie früh und änderte meine Wegrichtung, ohne dass es ihnen auffiel. Obwohl die Gefahr überall lauern konnte, war ich gut gelaunt. Ich würde mir Alexander schnappen und den Spuk beenden, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich es tun sollte. Es genügte nicht, die Wahrheit zu kennen. Was sollte ich mit ihr anfangen?
Ich hoffte, der Klub würde geschlossen, wenn die Dämmerung hereinbrach. Um nicht aufzufallen, schlug ich die Zeit in der weiteren Umgebung tot. Ich kaufte mir einen Kriminalroman und setzte mich auf eine Bank. Der Roman war sogar spannend. Er handelte von einer Mordserie in den Mietskasernen Berlins. In dem Kriminalkommissar erkannte ich Gennat wieder, fett, leutselig, schlau, ein Genie des Verhörs.
In einer Lesepause beobachtete ich die Vögel und überlegte, wie ich herauskommen konnte aus dem Schlamassel. Wie schon früher schlich sich der Gedanke an, ich hätte einen Fehler gemacht, als ich den Dienst quittierte. Der Bürgerkrieg war kurz gewesen und längst vorbei. Die Passanten waren gut gelaunt, niemand demonstrierte oder machte Krawall. Viele hatten den Parteienstreit satt gehabt, jetzt gab es nur noch die Parteien der Regierungskoalition. An der Spitze unseres Landes stand unumstritten die Heldengestalt Hindenburg. Es würde alles anders werden, ich fühlte es. Die Republik war die Verlängerung der Niederlage. Irgendwann würden Schleicher und Papen den Kronprinzen aus dem Zylinder zaubern, die Aufregung in Paris, Warschau und London würde sich legen. Und die Reichswehr würde offen das betreiben, was sie verdeckt all die Jahre getan hatte, sie würde aufrüsten. Die neuen Herrscher würden sich nie abfinden mit dem, was dereinst im Eisenbahnwaggon von Compiegne unterzeichnet und in Versailles vervollständigt worden war. Die Schmach steckte in mir wie in Millionen von anderen Deutschen. Aber mir war die Rachlust vergangen. Ich wusste nicht, warum und wann, ich spürte sie irgendwann einfach nicht mehr, ohne dass ich darüber nachgedacht hätte. Manche richteten ihren Hass gegen den Kaiser, sagten, er habe den Krieg verschuldet und den Untergang auch. Ich wusste nicht, was die Wahrheit war. Vielleicht würde ich Zeit finden, darüber nachzudenken, wenn es mir gelingen sollte zu
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