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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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abgesperrt? Keiner hat den Fundort verändert oder sich an der Leiche zu schaffen gemacht?«
    »Jawohl, Herr Kommissar. Nur der Herr Medizinalrat.«
    Dr. Münting erschien mit einer Zigarette in der Hand. Wir hatten schon oft miteinander zu tun gehabt. Er war gründlich, aber langsam. Ich hatte mir angewöhnt, ihn zu respektieren. »Diesmal war ich schneller bei der Leiche als Sie. Sieht schrecklich aus«, sagte er und zog die Decke zurück.
    Röhm starrte mich aus einem schlaffen grauen Gesicht an. Jemand hatte ihm seinen Penis mit der Eichel zuerst in den Mund gesteckt. Es sah so aus, als kaute er auf ihm. Mir wurde übel, doch ich zwang mich hinzusehen. Röhm war nackt, er trug nur Socken und Strumpfhalter. Die Unterarme lagen unter dem Rücken. Zwischen den Beinen klaffte eine blassrote Wunde. Die Leiche erinnerte mich an einen Engerling, weiß und fett. Der Körper war längst ausgeblutet.
    »Wann?«
    Münting schüttelte den Kopf. »Heute irgendwann. Mehr weiß ich noch nicht. Wir wissen nicht, wie lange er im kalten Wasser gelegen hat. Kälte verzögert die Leichenstarre. Wir werden ein bisschen rechnen, dann kriegen Sie den Bericht.«
    »Vielleicht erfahre ich den Zeitpunkt früher?«
    »Genau weiß ich es nicht. Aber er muss mindestens drei Stunden tot sein, eher länger.«
    »Aber er ist in jedem Fall in der vergangenen Nacht ermordet worden.«
    Der Arzt nickte.
    »Wie ist er gestorben?«
    »Jemand hat ihm das Geschlechtsteil abgetrennt und ihn verbluten lassen.« Er deutete auf Röhms Arme. »Er war gefesselt. An den Beinen auch. Man sieht es an den Druckstellen.«
    Ich dankte ihm und ging zum Vereinshaus. Ich war benommen.
    Im Vereinshaus warteten acht junge Männer. Sie stammten aus besseren Kreisen, das verriet ihre Kleidung. Sie saßen um einen langen Tisch und blickten mir bleich entgegen. Ich setzte mich zu ihnen. Müdigkeit und Ekel machten mir die Knie weich. Wohlfeld stellte sich neben die Tür. »Wer hat ihn gefunden?« fragte ich.
    Der Kleinste meldete sich. Er sah aus wie ein Kind und hatte einen roten Kopf vor Aufregung. Ich schätzte ihn auf siebzehn. Er war wohl der Steuermann. Sein Gesicht war mit Sommersprossen übersät, die Haare waren nicht so grellrot wie die von Erika. Er trug einen weißen Pullunder über einem hellblauen Hemd.
    »Berichten Sie.«
    »Ich ging hinaus an die frische Luft. Als ich am Kai stand, sah ich etwas im Wasser treiben.«
    »Was haben Sie am Kai gemacht?«
    »Ich musste mal.« Er wurde rot.
    »Und was haben Sie dann getan?«
    »Ich bin ins Vereinsheim zurück, und dann haben wir die Polizei angerufen.«
    »Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen?« Ich blickte sie der Reihe nach an. Sie schüttelten den Kopf, Jungen aus reichen Familien, die die Zeit totschlugen und eine Leiche fanden. Sie berührte der Absturz von Millionen in Arbeitslosigkeit und Bankrott wie ein Wochenschaubericht aus Abessinien. Jetzt wusste ich, was mir aufgestoßen war. Sie hatten sich im Vereinsheim getroffen, um zu trinken. Gerudert wurde um diese Jahreszeit nicht. Ich sagte mir: Du kennst sie nicht, tu ihnen kein Unrecht. Aber ich sah die Gesichter, die Kleidung, das Vereinsheim und wusste, wer sie waren. Mein Hass auf die Reichen wurde 1923 geboren, als die Ruhrbarone sich während der französischen Besatzung auf Staatskosten gesundstießen und die kleinen Leute in der Billioneninflation untergingen. Auch meine Belohnung für die Ergreifung Kowalskis verrauchte damals, aber das war eine Kleinigkeit. Natürlich hatten die Jungs nichts gesehen außer der Leiche. Und sie hatten sich richtig verhalten.
    Röhm war irgendwo ermordet und in die Spree geworfen worden. Es sah nicht danach aus, als wollte jemand die Leiche verschwinden lassen, sie war nicht beschwert worden. Es sah eher aus wie eine Demonstration gegen Homosexuelle, gegen die SA, gegen die Nazipartei oder gegen wen auch immer.
    Ich schaute auf die Uhr, es war fast acht. Morgen früh musste ich bei Melcher antreten. Ich verließ das Vereinsheim, nachdem Wohlfeld mir versichert hatte, die Personalien der Ruderer seien aufgenommen worden. Die Kollegen der Spurensicherung suchten das Umfeld ab. Ich hatte keine Hoffnung, dass sie etwas entdecken würden.
    »Wo mag der Tatort liegen?« fragte Wohlfeld.
    »Keine Ahnung«, sagte ich. »Spreeaufwärts, das steht fest. Wenn die Spurensicherung nichts findet, haben wir schlechte Karten.«
    Ich sah die Jungen aus dem Vereinsheim kommen. Vier oder fünf trugen Regenschirme. Sie kehrten zurück in

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