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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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sagte ich.
    »Einmal noch«, erwiderte sie. Sie setzte den Hut mit der schwarzen Feder ab und entfernte die Haarnadeln. Dann fing sie an, mir das Hemd aufzuknöpfen.
    Ich erschrak, als ich das Klingeln hörte. Erika stand ruckartig auf und drehte sich weg. Ich hob ab, es war die Bereitschaft im Präsidium. »Eine Leiche in der Spree, der Herr Kriminalrat Gennat sagt auf Weisung des Präsidenten, Sie sollen den Fall übernehmen. Herr Kriminalassistent Wohlfeld holt Sie ab. Er weiß Bescheid.«
    »Warum nicht Schmitt?« Ich schnauzte den Mann an, er tat mir gleich leid, er war nicht verantwortlich für Melchers Launen. Ich war wütend wegen Erika und weil der Polizeipräsident mich hin und her schob wie einen Bauern in einem Spiel, dessen Regeln mir vielleicht später enthüllt wurden. Und ich war wütend auf mich, weil ich mich nicht durchsetzte, nicht gegen Grüntner, nicht gegen Erika. Mein Zorn wuchs, als mir Sofia Schmoll einfiel, die im Erfurter Untersuchungsgefängnis saß.
    »Der Kommissar Schmitt ist verreist.« Der Mann klang ruhig, als wäre er es gewohnt, von Kriminalkommissaren heruntergemacht zu werden.
    »Ist gut«, sagte ich und legte auf. Ich hätte mich entschuldigen müssen.
    Erika saß auf ihrem Stuhl und weinte.
    Ich öffnete den Mund, schon sagte sie: »Es ist immer das gleiche.« Sie schlug mit der Hand auf die Tischkante, schrie auf und steckte die Hand in den Mund. Ihre Wangen waren gerötet. Sie saß da wie eine Furie, glänzende Augen und Haare, deren Rot funkelte. Sie stand auf, nahm Haarnadeln und Hut, schaute an mir vorbei, als sie zur Wohnungstür ging, und knallte sie laut zu.
    Ich saß am Tisch und wartete auf Wohlfeld. Wieder ein Mord in Berlin. Es war normal geworden, die Leute schlugen sich tot, weil sie arm waren, weil sie hungerten, weil sie an Moskau glaubten oder an das Dritte Reich. An den Staat, für den ich arbeitete, glaubte fast niemand mehr. Nicht dass ich an ihm hing, nur klangen die Alternativen schlechter.
    Als es läutete, hatte ich wieder Kraft in den Beinen. Wohlfeld saß mit dem Kriminalassistenten Wegner, der seine Haare frühzeitig einbüßte, und drei Kollegen von der Spurensicherung hinten im schwarzen Mordauto. Sie grüßten höflich.
    »Warum wieder wir?« fragte ich, als ich mich neben Wohlfeld gesetzt hatte.
    Wohlfeld schaute mich an und sagte: »Röhm.«
    »Röhms Leiche wurde aus der Spree gefischt?«
    Er nickte heftig. In ihm schien es zu arbeiten. »Mit seinem Geschlechtsteil im Mund.«
    Ich versuchte mir Röhms Landsknechtsfresse mit seinem Glied im Mund vorzustellen. »Wo?«
    »Beim Ruderverein Markomannia. Die haben einen gehoben, und als sie das Vereinsheim verließen, haben sie die Leiche entdeckt.« Das Mordauto fuhr schnell.
    »Ist alles abgesperrt?«
    »Ja, habe ich veranlasst, Herr Kommissar.« Es klang so ähnlich wie: Frag nicht so dumm! Doch immer noch kam es vor, dass Schupos an Tatorten Spuren zertrampelten, die Lage der Leiche änderten oder sonstigen Unsinn trieben, den sie für nützlich hielten, obwohl Gennat seit Jahren die Regeln in Todesermittlungsverfahren predigte. Aber natürlich, den gründlichen Wohlfeld musste man nicht fragen, ob er den Tatort absperren ließ.
    Erst Hitler, jetzt der Stabschef der SA. In beiden Fällen hielt sich meine Trauer in Grenzen. Röhm war einer dieser Typen, die der Krieg ausgespuckt hatte. Sie konnten nicht leben ohne Uniformen und Waffen. Als es in der SA kochte, hatte Hitler Röhm aus Bolivien zurückgerufen, um die Meute zu bändigen. Und jetzt waren beide tot. Ich schaute hinaus in den Nachtregen. Wohlfeld wischte mit einem Lederlappen die beschlagenen Scheiben frei. Ich hätte ihn bitten können, die Heizung herunterzudrehen, ich schwitzte. Aber ich hatte ein Bild vor Augen von Krieg und Blut. Ich sah mich im Schützengraben, um mich herum zerplatzte Unterleibe und Arme, Hände, Beine und Füße, Finger, Zehen, Augen. Dann hörte ich Wohlfelds Stimme: »Vielleicht ein abgewiesener Liebhaber.«
    Ich schlug die Augen auf und merkte, wie müde ich war. »Vielleicht«, sagte ich. Die Zeitungen hatten von Männerfreundschaften Röhms berichtet. Ich fand es eklig.
    Wir sagten nichts mehr, bis wir am Tatort waren. Die Schupos hatten ihn weiträumig abgesperrt. Auf der gemauerten Uferbefestigung sah ich schemenhaft eine Wölbung unter einer weißen Decke, daneben stand ein Schupo. Wir gingen hin, der Polizist legte die Hand an den Tschako. Ich erinnerte mich dunkel an sein Gesicht. »Wurde alles

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