Der Consul
ließ er seinen Blick schweifen. Am Schlageter-Bild blieben seine Augen hängen. »Sagen Sie es mir«, erwiderte er.
»Sie glauben ja offenbar nicht, dass es Kommunisten waren.«
»Es gibt zwei kommunistische Beschuldigte, aber die wird der Haftrichter bald laufen lassen müssen«, sagte ich. »Wir haben nichts in der Hand gegen sie.«
Er zuckte die Achseln. »Wenn es so ist. Aber wer soll es denn sonst sein? Wer profitiert von dem Chaos, das sich anbahnt, wenn nicht Thälmann? Können Sie mir das verraten?«
»Wenn wir in diesem Fall vom Motiv ausgehen, kommen ein paar Millionen als Mörder in Frage«, sagte ich. »Ihr Führer hatte nicht nur Bewunderer.«
Strasser lachte. »Da ist was dran.«
»Gibt es innerhalb Ihrer Partei Rivalen, die von Hitlers Tod profitieren?«
»Da fragen Sie den Richtigen. Ich galt als der Hauptkonkurrent, aber das ist Unsinn. Außerdem habe ich gewusst, dass es nicht mehr viel zu führen gäbe, wenn Hitler abträte oder umkäme. Ich habe Hitler oft genug verflucht, nicht nur ich, aber die anderen werden es nicht eingestehen. Stellen Sie sich das vor, es gab viele Dinge, die konnte nur Hitler entscheiden. Aber wenn es darauf ankam, dann war er oft verschwunden. Er hat sich gedrückt, ich will es mal offen sagen. Der Mann, der alles auf eine Karte setzte, hatte Angst vor läppischen Entscheidungen. Wir sind manchmal verrückt geworden vor Wut. Sprechen Sie auch mit Goebbels?«
Ich nickte.
»Dann fragen Sie den mal danach, der hatte als Berliner Gauleiter einiges auszustehen. Ich sage nur Stennes.«
»Der vor einiger Zeit die Berliner SA-Revolte angezettelt hat?«
»Genau der. Hitler hat lange laviert und dem Kerl eine Menge durchgehen lassen. Das hat Stennes aber nur ermuntert. Er ist dem Goebbels auf der Nase herumgetanzt, bis dem schwindlig war. Aber Stennes hat schließlich überzogen, und Hitler war gezwungen, ihn zu entmachten. Es hat lange genug gedauert.«
»Wollen Sie damit andeuten, Goebbels könnte etwas mit dem Mord zu tun haben?«
»Der? Der ist doch ein feiger Hund. Glauben Sie mir, ich kenne ihn, er war mal mein Sekretär. Hat eine große Klappe und ist im Herzen ein Roter. Ich wüsste nicht, was er sich davon versprochen haben könnte. Er hat sich an Hitlers Rock gehängt und nicht mehr losgelassen. Gab den treuen Schildknappen und hinterließ, wo er ging, eine Schleimspur.«
Weit entfernt Schüsse. Strasser stand immer noch am Fenster, er hatte sich zu mir gedreht. Jetzt schaute er hinaus und schüttelte den Kopf.
»Sie mögen Goebbels nicht.«
»Wie kommen Sie darauf?« Er lachte. »Wir in dieser großen Partei lieben Deutschland. Das verbindet uns.«
*
Ich ging hinüber zum Palais des Reichstagspräsidenten. Als ich mich an der Pforte meldete, erklärte der Beamte, der Herr Reichstagspräsident habe das Palais vor einer Viertelstunde verlassen. Er wusste nicht, wo Göring war. Das Telefon in Görings Vorzimmer war nicht besetzt.
Wohlfeld saß im Auto und rauchte. »Gehen Sie mal zum Pförtner und rufen Sie beim Angriff an. Der Goebbels wird mich auch versetzen, ich rieche es. So ein kleiner Bürgerkrieg ist ja auch unterhaltsamer als eine Polizeivernehmung.«
Ich wartete im Auto, bis Wohlfeld zurückkam. Es war so, wie ich vermutet hatte, Goebbels war auch verschwunden. Wir fuhren zum Präsidium. Ich setzte mich hinter meinen Schreibtisch und überlegte. Wohlfeld setzte sich auf einen Stuhl an der Wand und schwieg. Ich stand auf, nahm die Gießkanne, füllte sie am Waschbecken neben der Tür mit Wasser und goss die Blumentöpfe auf der Fensterbank. Unten auf der Straße herrschte Aufregung. Ich erkannte Knäuel von Menschen, sie stritten miteinander. Dann erschienen Soldaten auf dem Platz, sie kletterten aus Lastwagen. Ich sah auch Maschinengewehrkraftwagen. Sie postierten sich in der Nähe des Eingangs. Als sie die Soldaten sahen, erstarrten die Knäuel für Augenblicke, dann näherten sich Menschen aus den Diskussionsgruppen den Soldaten, andere blieben stehen und schauten zu. »Das sieht übel aus, Herr Kommissar«, sagte Wohlfeld. Ich hatte ihn nicht bemerkt, er stand neben mir. Ich antwortete ihm nicht.
Wohlfeld hatte die Tür meines Zimmers nur angelehnt, draußen hörte ich ein Schluchzen. Ich schaute ins Vorzimmer, Elisabeth Wuttke saß mit einem Taschentuch in der Hand an ihrem Tisch und weinte. Sie hatte die dunkelbraunen Haare hochgesteckt, auf ihren knochigen Wangen glänzten Tränen. Sie sah mich, trocknete die Augen, schniefte leise und
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