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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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die beiden auf keinen Fall ermordet. Als er umgebracht wurde, waren sie in Erfurt.«
    »Das ist eine andere Geschichte, das kann man mit dem Hitler-Mord nicht vergleichen. Da hat jemandem in der SA der Lebensstil dieses sauberen Herrn nicht gefallen. Oder es gab eine Erpressung, das ist ja üblich in diesen Kreisen.« Er verzog sein Gesicht, um Ekel zu zeigen. »Unter uns, keiner bedauert den Abgang dieses Herrn, im Gegenteil, überall Erleichterung. Röhm war gefährlich, war einer von diesen ewigen Schlagetots. Von denen gibt es viel zu viele.«
    An der Wand hinter Melchers Schreibtisch hing ein Bismarck-Porträt. Ich weiß nicht, ob er es aufhängen ließ oder einer seiner Vorgänger. Mir würde übel, während ich ihn reden hörte. Erst dachte ich, es sei die Anstrengung, der Mangel an Schlaf, die Aufregung. Dann meldete sich ein Gedanke, zunächst unscharf, dann klarer. Melcher wäre es am liebsten gewesen, ich hätte meine Ermittlungen eingestellt und Leutbold und Schmoll den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Ich verstand es nicht, der Oberreichsanwalt würde nicht Anklage erheben mit solch dürftigen Indizien. Am Ende stünden wir ohne Täter da, und die Sache verliefe im Sand. Wollte er das? Oder hoffte er, der Oberreichsanwalt würde das Spiel mitspielen? Und dann auch die Richter?
    »Wünschen Sie, dass ich meine Ermittlungen beende?«
    Melcher schaute mich traurig an. Er tippte mit seinen Fingern auf die Tischplatte. Er verschob einen Aktenstapel um wenige Zentimeter und schien den Titel des oben aufliegenden Ordners zu lesen. Mit leiser Stimme sagte er: »Wir sind an das Recht gebunden. Aber das Recht ist nicht getrennt von der Macht. Im kommenden Krieg gilt die Genfer Konvention, sagt man. Ich glaube das nicht. Im kommenden Krieg wird gelten, was im letzten gegolten hat: das Recht des Siegers.«
    Der Bürgerkrieg drohte oder war schon im Gang, ich wusste nicht, ob er ihn meinte. Vielleicht war es auch nur ein Bild. Der Polizeipräsident zog es vor, sich nicht festzulegen. Er wog ab, wer siegen und was der Sieger von ihm wünschen könnte. Die Beamten hatten das Kaiserreich, die Revolution, den Kapp-Putsch, die Ruhrbesetzung erlebt, sie würden auch nach dem Bürgerkrieg gebraucht werden. Jedenfalls konnte sich der deutsche Beamte nicht vorstellen, aussortiert zu werden, wie es in Russland geschehen war. Der deutsche Beamte war anpassungsfähig, ein Werkzeug, das jedem diente. Das ging mir durch den Kopf, während Melcher mich anschwieg. Sein Schweigen war eine Aufforderung. Ich verstand sie so: Führe deine Ermittlungen pro forma weiter, finde am besten nichts heraus, warte ab, bis sich die Lage geklärt hat, fall mir nicht in den Rücken, denn ich werde verantwortlich gemacht für das, was du tust. Aber befehlen darf ich es dir nicht, es könnte mir einer einen Strick daraus drehen. Mich packte der Zorn. Ich war Kriminaler, nicht Politiker. Ich war Kommissar geworden nicht durch Anpassung, sondern durch Leistung. Mein Beruf war es, Mörder zu finden. Ich hatte nicht die Absicht, daran etwas zu ändern.
    »Ich wollte anregen, dass Sie eine Sonderkommission einsetzen zur Klärung der Fälle Hitler und Röhm. Unter meiner Leitung.« Ich sagte es ruhig, als hätte ich nichts verstanden von dem, was der Präsident mir erklären wollte durch seine Andeutungen und sein Schweigen. »Es ist eine Menge Ermittlungsarbeit an verschiedenen Orten zu leisten. Den Kollegen in Thüringen kann ich nicht trauen, wir werden also Kriminalbeamte nach Weimar schicken müssen. Wir müssen eine Leichenattrappe die Spree hinuntertreiben lassen, und das gleich mehrfach. Vielleicht finden wir so die Gegend, wo Röhms Leiche ins Wasser geworfen wurde. Wir müssen Hitlers Begleiter in München vernehmen. Wir müssen Göring und Goebbels finden und sie befragen.«
    »Haben Sie mit Strasser gesprochen?« Es schien mir, als hätte der Präsident Angst in der Stimme.
    »Ja, dabei ist nichts herausgekommen. Außer vielleicht, dass sich seine Trauer in Grenzen hält. Aber das soll unter Parteifreunden ja vorkommen.«
    Melcher zeigte keine Regung. »Hat er keine Andeutung gemacht?«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Zur jetzigen Lage. Ob es einen Bürgerkrieg gibt? Wie er sich verhalten wird?«
    »Er gab sich ruhig, schien abzuwarten.« Fast hätte ich gesagt, dies sei das zur Zeit vorherrschende Verhalten.
    »Gehen Sie wieder an Ihre Arbeit«, sagte der Präsident.
    »Und die Kommission?«
    »Ich werde zur gegebenen Zeit darüber befinden.«
    Ich

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