Der Consul
fertiggebastelt. Mit den Schwimmübungen können wir wie geplant morgen beginnen.« Es klang nicht so, als wäre Wegner ein Nazi.
»Fürs erste bin ich fertig«, sagte der Arzt. »Der Mann wurde erhängt, erdrosselt. Todeszeit« - er schaute auf die Uhr - »heute, etwa zehn Uhr. Die Leiche ist noch warm. Ob ein Wirbel verletzt ist, sage ich Ihnen morgen. Es ist kein Selbstmord. Es sei denn, wir gehen davon aus, dass Goebbels sich den Lappen vorher in den Mund gesteckt oder es jemand danach getan hat. Gewiss, ganz unmöglich wäre das nicht. Wir leben in seltsamen Zeiten.«
Draußen im Flur drängelten sich zwei Leichenträger mit einer Bahre an uns vorbei.
»Noch nicht«, rief ich ihnen zu.
Der Mann, der vorne trug, nickte. Sie setzten den Sarg ab.
»Das sieht nach einer Ritualmordserie aus«, sagte Wohlfeld. »Hitler wird mit einer Goethestatue in Weimar erschlagen, Röhm wird das Geschlechtsteil abgeschnitten und in den Mund gesteckt, Goebbels mit einem Lappen im Mund aufgehängt. Ich würde einiges darauf verwetten, dass wir auch hier keine eindeutigen Spuren finden. Sicher ist nur, die beiden Beschuldigten aus Weimar haben Röhm und Goebbels nicht umgebracht, Leutbold und Schmoll waren in Polizeihaft, als die Morde in Berlin verübt wurden.«
Wohlfeld war immer noch aufgeregt. Manche unterschätzen ihn, es war ein Fehler. In den dreieinhalb Jahren, die ich mit Wohlfeld zusammenarbeitete, hatte ich ihn als klugen Mitarbeiter kennengelernt. Er hat in einigen Fällen die wegweisende Idee gehabt oder sie wenigstens hervorgerufen. Mit Ritualmorden hatte ich bis dahin nie zu tun gehabt.
»Welches Ritual?«
»Man könnte es Ritual der Gegensätzlichkeit nennen. Dem Schreihals Goebbels wird das Maul gestopft, dem Homo Röhm der eigene Penis in den Mund gesteckt, und Hitler ereilt die deutsche Kultur in Gestalt einer Goethestatuette, ausgerechnet in Weimar. Dichterfürst erschlägt Führer.«
Ich ging noch einmal ins Zimmer mit der Leiche, Wohlfeld folgte mir. Die Spurensicherer waren noch nicht fertig, aber der Fotograf baute seinen Apparat schon auseinander. Ich warf sie alle hinaus. Wohlfeld stellte sich neben die Tür, er kannte das Ritual. Ich schaute in Goebbels Gesicht, er streckte mir die Zunge heraus. »Schwer zu sagen, ob er seinen Mörder kannte, sein Gesicht verrät nichts, das ist der Nachteil beim Strangulieren, die Opfer sehen alle gleich aus. Hat es einen Kampf gegeben? Wohlfeld, fragen Sie mal den Doktor, wenn er noch da ist.« Wohlfeld verschwand. »Ich erkenne keine Kampfspuren. Am Hals die Strangulationsverletzung, darunter blaue Flecken, die passen nicht ins Bild. Unterhalb des Halses sieht er intakt aus. Keine Risse in der Kleidung. Es stinkt nach Kot und Urin, das ist normal, er konnte es nicht mehr halten. Es müssen mehrere Täter gewesen sein. Sie mussten ihn zum Schweigen bringen, sie haben ihn erdrosselt und schließlich aufgehängt. Das ist viel leichter, als einen lebenden Mann aufzuhängen. Ich würde was drauf wetten, dass es so war.«
Wohlfeld erschien mit dem Arzt im Schlepptau.
»Sie sind sicher, dass er erhängt wurde, Doktor Münting?«
Er blickte mich verwirrt an. Dann weiteten sich seine Augen, er schlug sich mit der Hand an den Kopf. Kopfschüttelnd beugte er sich hinunter zur Leiche. »Dass mir so etwas passiert«, murmelte er. »Aber ich hätte es gemerkt.« Kniend untersuchte er den Körper, vor allem den Hals. Er zündete sich eine Zigarette an, ich sah seine Hand zittern. Ich hätte ihm das Rauchen untersagen müssen, die Spurensicherung war noch nicht fertig, aber ich unterließ es. »Er hat Würgemale am Hals«, sagte der Doktor schließlich.
»Er wurde erwürgt und dann aufgehängt«, sagte ich.
Der Doktor nickte. »Höchstwahrscheinlich.« Er hatte sein Rückzugsgefecht verloren, bevor es anfing.
»Es ist ja auch verdammt schwer, einen Mann, selbst einen klumpfüßigen Zwerg, aufzuhängen. Da braucht man eher zwei Täter, sogar wenn er schon tot oder bewusstlos ist.«
Der Doktor nickte. Er ging, ein wenig stärker gebeugt.
»Wir sollten also einen Einzeltäter ausschließen. Und wir haben wieder Öl. Ich schätze, es ist eine Gruppe, die diesen Mord begangen hat. Wie bei Röhm.«
»Auch bei Röhm handelt es sich nicht um einen Einzeltäter?«
»Sie sagen es. Obwohl es theoretisch möglich wäre. Aber wir folgen der Hypothese, dass es mehrere waren.«
Wohlfeld nickte nachdenklich.
»Das würde bedeuten, dass hier in Berlin immer dieselben Täter
Weitere Kostenlose Bücher