Der Consul
noch auf Moskaus Interessen ausgerichtet, darauf, das
Vaterland der Werktätigen zu beschützen.« Er meckerte leise. »Denen hat Moskau den Zahn gezogen, nicht wir. Davon abgesehen, verdreschen die Kommunisten am liebsten die Sozis. Na ja, mag sein, dass der Genosse Stalin in seiner unendlichen Weisheit auf den Trichter gekommen ist, die Naziführer auszurotten. Der ist ja immer gut für Wendungen in alle möglichen und unmöglichen Richtungen. Wenn es so ist, werden wir über kurz oder lang ein Papier oder sonstwas finden, das uns auf die Spur bringt. Ich sage Ihnen dann Bescheid.«
»Was glauben Sie, wer steckt dahinter, wenn es nicht die KP sein sollte?«
Er schaute mich lange an. »Dass die Kommune keine Revolution macht, ist eine Sache. Die andere aber sind die GPU und der M-Apparat. Wer sonst im Deutschen Reich hat die organisatorischen Möglichkeiten und vor allem das Interesse, eine solche Attentatsserie zu organisieren? Da kann man ja nicht einfach losmarschieren und dem Herrn Röhm den Penis abschneiden und dem Herrn Goebbels einen Lappen in den Mund stecken. Das muss man vorher ausbaldowern, die Leute wochenlang beobachten, schauen, wo sich Gelegenheiten bieten. Wahrscheinlich war geplant, die Morde kurz hintereinander zu begehen, um so größer der Aufwand. Den Röhm zum Beispiel mussten sie erwischen ohne seine Kamarilla, das war bestimmt nicht einfach. Wo ist der schon allein hingegangen? Und wann war Goebbels allein im Angriff oder in seiner Wohnung zu erwischen? Und Hitler erschlagen, ohne gesehen zu werden in einem Hotel, alle Achtung. Aber da sitzen ja schon zwei, wie ich hörte.«
»Stimmt. Das Zimmermädchen und der Nachtportier könnten was gesehen haben. Oder sogar selbst verwickelt sein.«
»Wenn die beiden die Leute sind, die sie sein sollen, dann erfahren Sie von denen kein Wort.«
In dieser Nacht schlief ich schlecht, obwohl ich todmüde war und einige Gläser Weinbrand getrunken hatte, während ich ein Tauber-Konzert auf dem Grammophon hörte. Mir fiel ein Kollege ein, der im vergangenen Jahr elend an Leberkrebs gestorben war. Prompt begann es im Bauch zu zwicken. In der Nacht träumte ich Fetzen vom Grabenkrieg, und als ich aufwachte, fühlte ich mich allein. Der Schmerz wurde stärker, als ich Elsbeths Porträt auf dem Nachttisch betrachtete. Ich nahm das Medaillon aus der Nachttischschublade und drückte es in der Hand. Es beruhigte mich. Dann legte ich es zurück. Ich starrte an die Decke. Vater und Mutter fielen mir ein, die bei einer Bootsfahrt auf der Spree ertranken, ein paar Wochen vor dem Krieg. Er wäre mit seinem Tabakladen heute längst pleite wie so viele andere.
Der Tod kann einem viel ersparen. Seit dem Krieg gehörte ich nirgendwo hin. Ich diente einer Republik, die ich als Tatsache hinnahm, deren Präsident die Hohenzollern zurückholen wollte und deren Vertreter sie nicht verteidigten, sondern nur redeten. Ich glaubte an keine Partei und keine Weltanschauung, aber ich vermisste das Gefühl der Zugehörigkeit. Die Republik, in der ich lebte, war nicht in Weimar gegründet worden, sondern in Versailles. Sie war den Deutschen aufgezwungen worden durch die Siegermächte. Die Steuern, die ich bezahlte, mein Gehalt, die Pension, auf die ich mir einen Anspruch erwarb, die Briefmarken, die ich kaufte, die Stromrechnung, die ich bezahlte, in allem steckte Versailles, es verteuerte die Preise und senkte die Einkommen. Wir waren alle Versaillaner. Hitler, Röhm, Goebbels, die Toten der Straßenkämpfe waren Opfer eines neuen Kriegs, der seine Wurzeln in Versailles hatte. Er schien unvermeidlich, obwohl niemand uns zwang, ihn auszutragen.
Um die dunklen Gedanken zu vertreiben, stand ich vorzeitig
auf. Ich kochte mir einen Kaffee und fand zwei Scheiben angetrocknetes Brot, auf die ich Marmelade strich. Die Müdigkeit verklebte mein Hirn. Ich dachte an Sofia Schmoll, die ich vielleicht schon übermorgen Wiedersehen würde. Ich fragte mich, warum ich so oft an sie dachte und wieweit es mir die Unvoreingenommenheit raubte. Sie sollte nicht schuldig sein und wenn doch, dann nur ein wenig, gegen ihren Willen, wie immer das aussehen mochte. Ich lachte über mich. Ein alter Sack, über vierzig, dem man ansah, dass er rauchte, trank und zuviel arbeitete. Ich sah Sofia Schmolls Gesicht vor meinen Augen und kam mir schmutzig vor. Du bist ein Idiot, sagte ich halblaut zu mir. Der Kopf dröhnte, ich unterdrückte die Angst vor dem Krebs und versuchte das Stechen im Bauch nicht
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