Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
Nebentisch lag eine aufgeschlagene Zeitung, die Leipziger Neuesten Nachrichten. Sofia las laut: »Kommunistischer Überfall auf das Reichsgericht«. Dann vertiefte sie sich in den Artikel. Sie sah auf und streichelte meine Hand. »Aus dir werde ich nicht schlau.«
    »Ist nicht nötig.«
    »Du hast einen Oberreichsanwalt gezwungen, Entlassungspapiere auszustellen für Gottfried und mich. Dann hast du ihn, seine Sekretärin und einen Mitarbeiter der Oberreichsanwaltschaft gefesselt und bist mit einem >Rot Front!< abgezogen. Jetzt fahnden sie nach Gottfried, mir und einem weiteren Kommunisten, dessen Beschreibung erstaunlich gut auf dich passt.«
    Sie blätterte weiter. »Große Teile von Leipzig sind in der Hand der Braunen. Die Reichswehr arbeitet nun mit ihnen zusammen. Sie gehören ja jetzt alle zur großen Koalition in Berlin.«
    »Wenn man heutzutage Leute mit dem Hakenkreuz sieht, weiß man nicht, ob sie für die Regierung sind oder gegen sie. Das soll einer verstehen.«
    »So schwer ist das nicht.« Sie blätterte weiter. »Wenn man dem glauben kann, was hier steht, dann ist der Bürgerkrieg fast schon wieder vorbei. In Mannheim und Hamburg wird noch geschossen, aber das war es dann schon. Im Ruhrgebiet soll es ein Gemetzel gegeben haben. Tausende Kommunisten wollten nach Frankreich fliehen. Aber die Franzosen haben die Grenze zugemacht, und die armen Schweine wurden abgeschlachtet.«
    »Das sind deine Genossen«, sagte ich.
    »Ja und nein, ich war Sympathisantin. Das nennen die so.«
    »Du warst Sympathisantin?«
    »Ich hatte nicht gedacht, dass die wirklich Krieg führen wollen.«
    »Aber davon haben sie doch dauernd geredet, das habe sogar ich mitgekriegt. Seit dem Krieg haben die Leute die Hemmung verloren vor dem Töten. Es laufen Gestalten herum, die es vor dem Krieg nicht gegeben hat. Und zwar auf allen Seiten. >Wehrverbände<, so ein Wahnsinn! Vor dem Krieg haben die Spießer sonntags nach dem Kirchgang im feinen Anzug für die kaiserliche Flotte getrommelt und von Deutschlands Größe geträumt. Das war lächerlich. Heute laufen Hunderttausende in Kampfanzügen durchs Land und brennen darauf, irgend jemanden zu verprügeln oder umzubringen. Hast du diese Figuren nicht gesehen?«
    »Die haben gesagt, sie verteidigen die gute Sache gegen Angriffe der Nazis. Ich habe es geglaubt. Außerdem ist es nicht so falsch. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie RFB-Leute SA-Angriffe abgewehrt haben.«
    »Du warst natürlich nicht dabei, als Rotfrontkämpfer Nazis verprügelt haben.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wir haben uns die Ergebnisse dieser heldenhaften Kämpfe im Leichenschauhaus angesehen.«
    »Bei der MASCH gab es so was nicht. Das war interessant.«
    »Gewiss, aber diese Arbeiterschulung diente doch dazu, Menschen für den Bürgerkrieg zu gewinnen. Und für den M-Apparat.«
    »Ich habe bis vor kurzem nicht gewusst, was das ist, dieser M-Apparat.« Sie legte ihre Hand auf meine. »Leutbold hatte mir nichts gesagt von diesem Apparat, als wir im Hotel arbeiteten. >Es ist für die Partei<, hat er gesagt. >Damit wir uns wehren können gegen die Hitlers.««
    Ich nahm ihre Hand in meine. »Und was wird nun?«
    »Nimm mich mit.«
    »Wohin? Sie werden dich überall suchen. Für die sind Leutbold und du die Hauptverdächtigen. Und ich gestehe, dem lieben Gottfried traue ich nicht über den Weg.«
    »Er war es nicht.«
    Ich überlegte, fand aber keine Lösung.
    »An was denkst du?«
    »Wie ich dich in Sicherheit bekomme.«
    »Nimm mich mit nach Berlin. Dann sehen wir weiter.«
    »Wir packen.«
    Wir gingen die Treppe hoch. Im Zimmer nahm ich sie in den Arm. Ich spürte ihre Zunge auf meinen Zähnen, als wir uns küssten. Ich strich ihr über die Brust. Sie trug einen dünnen BH. »Später«, sagte sie.
    »Natürlich später«, sagte ich. Ich war nicht verrückt.
    Sie packte ihren Koffer. Ich blickte auf die Aktentasche. Im Schankraum stand ein Kohleofen. Wenn es mir gelang, meine alte Kleidung zu verbrennen, vernichtete ich eine Spur, auch wenn sie nur blass war. Aber ich war Kriminaler, wusste, welche Zufälle es gab bei Ermittlungen. Ich sah die Verkäuferin bei Hermann Tietz bildhaft vor mir, wie sie einem Polizisten mit schriller Stimme sagte: »Ja, ich erinnere mich. Diesen Anzug habe ich einem Herrn verkauft. Er hat mich so komisch angeguckt, er war überhaupt so seltsam. Ja, beschreiben kann ich ihn auch. Ich habe geahnt, dass mit dem was nicht stimmt.« So oder ähnlich hatte ich es manches Mal erlebt. Ich

Weitere Kostenlose Bücher