Der Consul
der mit der Fistelstimme. Er hatte ein rotes Gesicht mit Pickeln. Seine Augen glänzten böse.
»Aber nur die Sozi-SA, die braune ist in Ordnung. Sind sogar Hilfspolizisten geworden.«
»Wenn der Hitler noch leben würde, das wäre seine Stunde. Und alle würden zittern vor ihm, die Scheißfranzosen und die Saupolen.« »Der Göring bringt’s doch nicht. Das ist doch ein Lahmarsch. So einer will Parteiführer sein, lächerlich!«
»Unterschätz den nicht, der hat sie alle ausgetrickst. Das muss man auch erst mal packen.«
»Ach, Quatsch, niemanden hat der ausgetrickst, der hat einfach Glück gehabt. Und jetzt ist er Vizekanzler, hält großkotzige Reden, wenn er gerade mal nüchtern ist. Ne, gäb’s den Hindenburg nicht, ging’s drunter und drüber.«
»Es geht drunter und drüber!«
»So ein Quatsch, aber du hast ja immer zu den Eberts gehalten.«
»Die neue Regierung Schleicher, Göring, Hugenberg, Papen, das sind die richtigen Leute, ihr werdet es sehen. Keine Waschlappen wie der Brüning.«
»Und was meinen Sie, mein Herr?« grölte der mit dem Bass zu uns herüber. »Und Sie meine Dame? Habe ich Sie nicht schon irgendwo gesehen?« Der Tisch brach in Gelächter aus. »Doch, doch«, rief der Mann.
»Ich hab die schon mal gesehen. Es fällt mir bestimmt wieder ein.«
»Vielleicht gibt es einen Steckbrief«, sagte Sofia leise. »Wir müssen hier raus.«
»Nein, es gibt bestimmt keinen Steckbrief, der Kerl ist besoffen.« Ich war mir nicht sicher, ob ich recht hatte. Immerhin hatte ich selbst in der Zeitung meine Personenbeschreibung gelesen. Ich musste sie beruhigen, sonst endete unser Kneipenbesuch auf der nächsten Polizeiwache. »Wir bleiben hier. Wenn wir jetzt gehen, machen wir uns verdächtig.«
Ich stand auf und ging hinüber zum Stammtisch. Ich stützte meine Hände auf den Tisch. Wie zufällig öffnete sich mein Jackett, der Griff meiner Pistole wurde sichtbar. Ich lächelte die Männer freundlich an.
»Vor Gericht soll man den Thälmann stellen, das finde ich auch. Als Kriminalkommissar kann ich das gar nicht anders sehen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Frau mit dem Respekt behandelten, der einer Dame zukommt.«
Zwei guckten mich blöde an, andere grinsten. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. »Nichts für ungut«, sagte der mit der Fistelstimme. Die anderen wichen meinem Blick aus.
Inzwischen war der Wirt mit zwei Tellern Suppe zurückgekehrt. Ich setzte mich wieder neben Sofia. Schweigend aßen wir die Erbsensuppe. Der Stammtisch wurde allmählich wieder lauter, aber sie vermieden es, zu uns hinüberzuschauen. »Wir holen uns alles zurück«, sagte einer.
»Wer hat uns bestohlen, das waren die Polen. Wer muss blechen, das sind die Tschechen.« Grölendes Gelächter. »Diesmal hauen wir die Franzosen zu Brei. Erst im Westen, dann im Osten. Und am Ende geht’s dem Iwan an die Gurgel.« Sie bestellten eine Runde Korn.
Ich hob meine Hand, als der Wirt zu uns schaute. »Haben Sie ein Telefon?«
Er zeigte in Richtung der Toiletten. Sofia hatte nichts dagegen einzuwenden, ein paar Minuten allein zu bleiben. Ich wählte die Vermittlung und ließ mich mit Wohlfelds Privatnummer verbinden. Ich hatte Glück, er war zu Hause.
»Herr Kommissar, Sie leben!«
»Ja, warum nicht?«
»Es ging die Nachricht um, Sie wären in Leipzig umgekommen bei den Schießereien.«
»Ich bin kein Gespenst, also ist es eine Latrinenparole. Allerdings war ich Gefangener des RFB.«
»Mein Gott. Dann wissen Sie es ja vielleicht noch gar nicht, die Kommunisten haben Leutbold und Schmoll befreit.«
»Donnerwetter. Das ist ärgerlich. Ich bin noch gar nicht bis Leipzig gekommen.«
»Dass sie Leutbold und Schmoll befreit haben, ist eine Art Schuldeingeständnis.«
»Nicht unbedingt. Die sollten wohl den Nazis nicht in die Hände fallen.«
Er zögerte ein paar Sekunden. Dann sagte er: »Sie haben bestimmt recht, Herr Kommissar.«
»Ich hoffe es. Und was machen die Schwimmübungen?«
»Wie bitte?«
»Ihre Versuche mit der Röhm-Puppe.«
»Ach so, die konnten wir bisher nicht durchführen. Es gab wilde Schießereien überall in Berlin. Keiner wusste, wer auf wen schoss, bis die Reichswehr dazwischengegangen ist. Hunderte von Toten. Im Wedding gab’s eine Schlacht mit Barrikaden. In Kreuzberg auch. In Charlottenburg haben Heckenschützen auf alles geschossen, was gut gekleidet war. Erst seit gestern trauen sich die Leute wieder auf die Straße. Wann kommen Sie zurück, Herr Kommissar? Der
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