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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Polizeipräsident macht sich Sorgen.«
    »In drei, vier Tagen«, sagte ich. »Sagen Sie dem Präsidenten, ich hätte mich in einem Dorf in Sachsen in Sicherheit gebracht. Ich musste fliehen, kam nach Leipzig nicht hinein, da war es wie in Berlin. Und jetzt treiben sich hier noch kommunistische Banden rum und knallen auf alles, was sie für den Klassenfeind halten. Morgen oder übermorgen hat sich die Lage bestimmt beruhigt.« Sicher glaubte er mir die Geschichte. »Warten Sie mit den Versuchen, bis ich zurück bin. Auf die paar Tage kommt es jetzt nicht mehr an.«
    »Machen wir, Herr Kommissar. Soll ich Ihnen Verstärkung schicken?« Seine Freude rührte mich, ich bedauerte es, ihn manchmal angeschnauzt zu haben, wenn ich schlecht gelaunt war.
    »Nein, die Kollegen haben zur Zeit Wichtigeres zu tun, als auf mich aufzupassen. Wiederhören!« Ich legte schnell auf.
    Sofia war in Gedanken versunken, als ich mich wieder an den Tisch setzte. Die Stammtischrunde hatte sich aufgelöst. Ein Teller Sülze mit Bratkartoffeln stand an meinem Platz, auch ein Glas Bier.
    »Wir fahren mit dem Umzugswagen nach Berlin«, sagte Sofia.
    »Ja«, sagte ich. »Mit einer Eskorte der Reichswehr. Allerdings nicht so bequem wie der Oberst, sondern zwischen seinen Möbeln.«
    »Mit dir erlebt man ja tolle Abenteuer«, sagte sie lächelnd. Aber ich erkannte ihre Unsicherheit. Natürlich überlegte sie, was aus ihr würde, wenn wir in Berlin waren. Ich konnte es ihr nicht sagen, ich wusste es selbst nicht.
    Hand in Hand gingen wir zurück zur Pension. Der Mond leuchtete wie eine Laterne am Himmel. Es war windstill. Entlaubte Bäume warfen bizarre Schatten. Nasse Wiesen glänzten matt. Wir sagten kein Wort. Als ich unschlüssig vor meinem Zimmer stand, betrat Sofia ihres und ließ die Tür offen.
     

VIII.
    W ir verlebten fünf Tage und vier Nächte, als ginge uns alles andere nichts an. Es war uns gleichgültig, wer wen erschoss, wer wo die Macht ergriff, wer wen einsperrte. Unsere Wirtin ließ sich nur sehen, wenn sie gebraucht wurde. Ich lernte Sofia als eine selbstbewusste Frau kennen. Sie war schön, humorvoll und phantasiereich in der Liebe. Außerdem hatten wir Muße, uns zu pflegen und Wäsche zu waschen, es war eine Rückkehr in die Zivilisation.
    Am fünften Tag, nach dem Frühstück, klopfte es an meiner Tür. »Einen Augenblick, bitte«, rief ich. Sofia und ich stiegen aus dem Bett und kleideten uns notdürftig an. Wir hatten überlegt, wie wir nach Ehrenfriedersdorf fahren könnten.
    »Herein!«
    In der Tür stand die Wirtin. »Zweimal am Tag fährt ein Bus nach Ehrenfriedersdorf, der nächste heute nachmittag um halb drei. Am besten sind Sie schon zehn Minuten früher an der Haltestelle. Manchmal hat der Busfahrer es eilig.«
    Ich bedankte mich und bat um die Rechnung.
    »Eine Rechnung bekommen Sie nicht. Zahlen Sie, was Sie können, und sagen Sie niemandem, dass Sie hier waren.«
    Ich fühlte mich verwoben in einem unsichtbaren Netz. Keine Geheimorganisation, sondern Menschen, die kein zu hohes Risiko eingingen, aber anständig bleiben wollten. Der Schaffner, der uns als politisch Verfolgte ansah, weil wir aus dem Zug geflohen waren. Der Spediteur, an den der Schaffner uns verwies und der so tat, als ahnte er nichts und uns doch eine sichere Fahrt nach Berlin anbot, für den Fall, dass wir dorthin wollten. Vielleicht riet er uns auf seine Art sogar, nach Berlin zu fliehen, weil wir in der Großstadt besser untertauchen konnten als auf dem Land, wo jeder jeden kannte. Und nun die Wirtin, die uns keine Meldezettel vorgelegt hatte und erwog, wir könnten knapp bei Kasse sein. Und keiner dieser Menschen verlor ein Wort über das, was er tat oder unterließ. Viele wären zur Polizei gelaufen, ich kannte diese Denunzianten, die die Polizeiarbeit erschwerten, ohne die wir aber auch manchen Fall nicht gelöst hätten.
    Der Bus fuhr tatsächlich zu früh los. Wir setzten uns auf die Rückbank und hatten alles im Auge. Hin und wieder stiegen Fahrgäste zu oder aus, nicht viele. Kaum einer beachtete uns. Es dämmerte, als wir in Ehrenfriedersdorf eintrafen. Der Bus hielt am Bahnhof. Gegenüber stand ein Möbelwagen, die Tür zum Laderaum war offen. Wir blieben eine Weile stehen und beobachteten die Umgebung. Gschwendtner tauchte auf, kontrollierte etwas am Wagen und schien uns nicht zu kennen. Als er in seiner Garage verschwand, schlenderten wir untergehakt zum Laster. Ich schaute mich um, niemand war zu sehen. Vom Bahnhof her pfiff eine

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