Der Consul
gelbem Hammer und Sichel lag zerfetzt zwischen den Toten. Es war wie ein Symbol für den Untergang der Kommune. Sofia starrte hinaus. Sie hielt meine Hand. Vermutlich hatten die Kämpfer sich hinter dem Bahndamm in Stellung gelegt und waren umfasst worden. »Wie es Leutbold wohl geht?« fragte Sofia.
»Ihm wird es egal sein, wie es uns geht. Er ist abgehauen, das sagt genug.«
»Ja, trotzdem muss ich ihm nicht den Tod wünschen.«
Die Eifersucht meldete sich. »Wenn er schlau ist, und das ist er, dann ist er schon Richtung Moskau unterwegs. Dort kann er dann ja Wodka saufen mit den Polizistenmördern.«
Sofia schaute wieder aus dem Fenster hinaus. »Und was wird aus mir?«
»Das überlegen wir in Berlin.«
»Und was wird aus uns?«
Ich hatte nie eine Frau erlebt, die so offen sprach über das, was sie bewegte. »Wir schaffen es«, sagte ich, das wollte ich glauben. Aber wie sollten wir herauskommen aus dem Schlamassel? Berlin schien mir unendlich weit entfernt. Und was erwartete uns, wenn wir es dorthin schaffen sollten?
Wir erreichten Ehrenfriedersdorf. An einem Fachwerkhaus gegenüber vom Bahnhof las ich das Schild des Fuhrunternehmens Gschwendtner, »Transporte aller Art«. In ein großes Holztor war eine Tür eingelassen. Sie führte in eine Halle, in der ein Lastwagen, zwei Personenwagen und Anhänger standen. Es stank nach Öl. An der Seite sah ich eine Tür, oben verglast, neben der Tür war ein Fenster. Dahinter lag ein Büro, auf dem Schreibtisch brannte eine funzelige Lampe. Ein Mann saß am Schreibtisch, er trug eine Schirmmütze und eine blaue Arbeitsjacke. Ich drückte Sofias Hand und klopfte an die Tür. Der Mann schaute nicht auf von seiner Arbeit, er rief: »Die Tür ist offen!« Das Klopfen schien ihn zu stören. Wir gingen hinein. Als wir vor dem Schreibtisch standen, schaute er uns misstrauisch an. »Ja?«
»Sind Sie Herr Gschwendtner?«
»Ja.«
»Wir möchten nach Zöblitz.«
»Und?«
»Fahren Sie uns hin?«
»Zur Zeit ist kein Fahrer da.«
»Wann kommt einer?«
»Weiß ich nicht.«
»Können wir warten?«
»Lohnt sich nicht.«
»Bis der Fahrer kommt?«
»Der muss nach Olbernhau.«
»Und Sie?«
»Was ich?« »Können Sie uns fahren?«
»Bitte«, sagte Sofia.
Er schaute sie kurz an, dann wieder mich. »Ich werde hier gebraucht.«
»Ein Schaffner hat Sie uns empfohlen«, sagte Sofia. »Sie würden uns nach Zöblitz bringen, Pension Zur Linde.«
»Ach ja, hat er das gesagt?« Er schaute zwischen uns durch auf die Wand hinter uns. »War das so ein Langer, Dürrer?«
»Nein, er war klein und fett«, sagte ich.
Er blickte uns mit verkniffenen Augen an, dann schaute er auf die Uhr. »Na gut. In fünf Minuten fahren wir. Steigen Sie schon mal ein. Kostet fünf Reichsmark. In den da.« Er wies durch das Fenster auf eine Adler-Limousine.
Das Auto war alt und schmutzig, die Rückbank übersät mit Flecken. Wir sahen durch die Scheibe, Gschwendtner telefonierte im Büro. Er legte auf, blätterte in einem Papierstapel und schrieb etwas auf ein Blatt. Dann erhob er sich. Als er in die Halle kam, trug er eine Jacke in der Hand. Etwas Schweres straffte die Jacke, ich sah die Ausbeulung. Das kannte ich von Ganoven, der Mann hatte sich bewaffnet. Er öffnete das Tor zur Straße, dann setzte er sich hinters Steuer. Der Wagen sprang sofort an, der Motor lief rund. Er fuhr auf die Straße, bremste, stieg aus, schloss das Tor und setzte sich wieder ins Auto.
»Eigentlich habe ich keine Zeit«, sagte er.
»Viel zu tun?« In Sofias Stimme lag Mitleid.
»Ja, müssen einen Oberst nach Potsdam umziehen. Meine Leute sind gerade in Augustusburg und packen.«
»Und wann geht es los?«
»Am 21., in fünf Tagen. Vorher geht’s nicht. Ein Stück weiter im Norden halten sich noch Rotfrontleute versteckt und überfallen Reisende. Keine Sorge, junge Frau, hier passiert Ihnen nichts.«
Wir fuhren an einem Gehöft vorbei. Graugewaschene Schindeln, das Wohnhaus mit Fachwerk und schmutzigem weißem Putz, der Dachfirst der Scheune wellig, gesplitterte Ziegel. Enten und Gänse auf einer umzäunten Wiese. Die Straße war matschig und voller Schlaglöcher. Sofia schaute unentwegt hinaus. »Arme Gegend«, sagte sie.
»Hier ist seit vielen Jahren nichts mehr passiert«, erwiderte Gschwendtner lakonisch. »Die Bauern haben mehr Schulden, als sie zurückzahlen können. Gäste zieht es auch nicht mehr her, wer kann sich heute noch Urlaub leisten? Außer Ihnen natürlich.«
»Es sei denn, man ist Offizier bei
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