Der Cop und die Lady
sie auch gar nicht. Das habe ich nicht gemeint.”
Mike seufzte. „Ich weiß. Aber ich kann trotzdem nichts weiter unternehmen. Ich habe Anweisung bekommen, Ihre Akte zu schließen.”
„Heißt das, dass Sie mir jetzt wenigstens die Sache mit meiner Amnesie glauben?”
„Ich habe keinen Grund, es nicht zu tun.” Er streckte die Hand aus und schob ihr das Haar aus der Stirn. „Hey, Ihr Verband ist ja ab. Man sieht kaum etwas.” Seine Fingerspitzen verweilten für einen Moment auf ihrer glatten Haut.
Als er ihr Haar berührte, beschleunigte sich Ninas Puls. Also war es doch keine Einbildung gewesen, er fühlte sich von ihr angezogen. Ebenso wie sie sich von ihm. Und jetzt war dieses Gefühl wieder da, genau wie gestern, nur noch stärker.
Wie er sich verhalten sollte, nachdem er Nina mitgeteilt hatte, dass ihre Akte geschlossen sei, hatte sich Mike vorher nicht überlegt. Doch als sie ihm lächelnd die Tür geöffnet hatte, leicht scheu und doch glücklich darüber, ihn zu sehen, hatte er das sehr wohl registriert. Und nun, als sie ihn mit verhangenen Blicken, die Wangen vor Erregung gerötet, ansah, zögerte er nicht, obwohl er wusste, dass es ihn bei seinem Arbeitgeber den Kopf kosten konnte, wenn er nicht die Finger von Nina Dennison ließ. Aber das war ihm egal.
„Kommen Sie”, sagte er abrupt. „Ich möchte Sie mit jemandem bekannt machen.”
Ninas erster Gedanke war, dass Mike sie wieder in die Straße bringen würde, in der sie angeschossen worden war. Seit er sie in sein Auto verfrachtet hatte, hüllte er sich in Schweigen. Sie verließen Society Hill und fuhren nach Norden in das düstere, heruntergekommene Industriegebiet im Hafenviertel. Sie war sich fast sicher, dass an der Kreuzung, an der sie eben vorbeigekommen waren, die Straße lag, wo die Sache passiert war. Mike fuhr noch einen Häuserblock weiter und hielt dann vor einem anscheinend leerstehenden Fabrikgebäude mit zugemauerten Fenstern. Die große Stahltür, durch die er sie nun führte, war über und über mit Graffiti verziert.
„Passen Sie auf, wo Sie hintreten”, sagte er und nahm ihren Arm, während sie vorsichtig um einen Scherbenhaufen herumging. Mike zog einen großen Schlüsselbund aus der Jackentasche und machte sich an der nächsten Stahltür, vor der sie nun standen, zu schaffen. Nina bemerkte, dass die Tür, so zerbeult und zerkratzt sie auch war, ein funkelnagelneue s Schloss hatte.
„Eine wirklich wohnliche Gegend”, sagte sie, „und glauben Sie ja nicht, dass ich Ihnen nicht dankbar bin, dass Sie mich mitgenommen haben, aber was zum Kuckuck wollen wir hier?”
Er warf ihr über die Schulter ein verschmitztes Grinsen zu. „Warten Sie’s ab.”
Die Fabrikhalle, die sie jetzt betraten, war leer und staubig, von den Wänden bröckelte der Putz. Ihre Schritte hallten auf dem Zementboden. Aber der Lastenaufzug war sauber und funktionierte sogar. Er brachte sie ins oberste Stockwerk. Als er anhielt, vernahm Nina hinter der Tür seltsame Geräusche.
„Himmel, das klingt ja nach einer riesigen Ratte oder so was”, sagte sie irritiert,
„hier steigen wir aber hoffentlich nicht aus, oder?”
Doch da glitten die Türen des Aufzugs bereits auseinander, und Mike trat hinaus, wobei er von einem freudig aufgeregten Bellen empfangen wurde. Als Nina ihm zögernd folgte, fand sie ihn in Gesellschaft eines riesigen schwarzen Hundes, dessen Vorderpfoten ihm fast bis zu den Schultern reichten und der ihm hingebungsvoll zur Begrüßung mit seiner langen rosa Zunge das Gesicht ableckte.
Sobald das Tier entdeckte, dass noch jemand da war, vergaß es seinen Herrn und wandte Nina schwanzwedelnd seine Aufmerksamkeit zu. Sie beugte sich zu dem Hund hinunter und streichelte ihm über das kurze, schwarz glänzende, seidige Fell. „Guter Hund”, schmeichelte sie und rubbelte seine Schlappohren. „Was für ein süßes, kleines Hündchen du doch bist.”
„Ah, sieht ganz danach aus, als ob Sie Tiere mögen”, sagte Mike.
„Stimmt.” Sie tätschelte dem Hund den Kopf, was wieder ein heftiges Schwanzwedeln bewirkte. „Wie heißt er denn?”
„Sig.”
„Aha. Nach Sigmund Freud vermutlich, hab’ ich recht?”
„Nicht direkt. Ich habe ihn nach der ersten Pistole benannt, die man mir bei meinem Dienstantritt ausgehändigt hat. Eine Sig Sauer Pistole.”
Nina nickte ohne aufzusehen. Das ist seine Welt, dachte sie. Er ist ein anständiger Mensch, aber er lebt in einer Welt, in der Gewalt, Kriminalität und Waffen
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