Der Cop und die Lady
bringen.
„Aber was ist denn?” In Juliens Stimme lag nun ein Anflug von Gereiztheit.
„Ach, ich kann es einfach nicht erklären. Es würde keinen Sinn machen. Aber ich bitte euch beide jetzt wirklich zu ge hen. Ich bin total erschöpft und muss unbedingt allein sein. Versteht ihr das? Bitte.”
„Julien”, wandte sich Marta mit leiser Stimme an ihren Bruder, „irgendwas stimmt hier nicht. Sie ist ja vollkommen hysterisch.” Sie warf Nina einen besorgten Blick zu. Die war aufgestanden, durchs Zimmer gegangen und hielt die Wohnungstür vielsagend auf.
„Ich weiß nicht.” Julien zögerte. „Nina”, machte er noch einen Anlauf,
„vielleicht ist es besser, wenn Marta heute Nacht hier bei dir bleibt …”
„Nein!” erklärte Nina kategorisch und fuhr dann mit so viel Geduld, wie sie noch aufbringen konnte, fort: „Bitte, lass mich jetzt allein, Julien. Wir sehen uns morgen im Büro. Marta, es war nett von dir, dass du gekommen bist, aber ich habe rasende Kopfschmerzen. Tut mir le id.”
Julien öffnete den Mund, um zu protestieren, doch als er Ninas wild entschlossenen Gesichtsausdruck sah, schloss er ihn wieder.
„Ganz wie du willst, Liebes”, gab er resigniert klein bei und schob Marta zur Tür.
„Ich kann dich gut verstehen, Nina “, sagte Marta beim Hinausgehen. „Du hattest bestimmt einen anstrengenden Tag. Ruh dich jetzt aus. Wir sehen uns morgen.”
Julien wollte ihr einen Abschiedskuss geben, aber sie wich ihm geschickt aus und hielt ihm die Hand hin. Er nahm sie mit einem dünnen Lächeln und zog sie an seine Lippen.
„Dann bis morgen.” Nina trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
Endlich waren sie fort. Sie knallte die Tür zu, atmete erleichtert auf und ging ins Wohnzimmer zurück. Die Gedanken in ihrem Kopf wirbelten wild durcheinander.
„Was zum Teufel geht hier vor?” murmelte sie vor sich hin.
Sie ging ins Schlafzimmer, holte ihr Tagebuch aus der Nachttischschublade und ging damit in die Küche. Dort setzte sie sich an den Tisch und überflog die Seiten, die sie geschrieben hatte, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war.
Anschließend versuchte sie sich an jeden ihrer lebhaften „Erinnerungsblitze” zu erinnern. Sie machte sich eine Liste.
Donnerst, (im Restaurant) -Julien und ein anderer Mann (dunkl. Haar?) in einem kleinen Raum (Bootskajüte?) Donnerst, nachmittag - blonde Frau im Nerzmantel in meiner Wohnung Donnerst, nacht -Mike N., mit nacktem Oberkörper, Pflanzen Freit, (in Armands Büro) - Stahlkassette mit Smaragden Sonnt. -Julien D. an Bord eines Segelbootes
Als sie fertig war, studierte sie die Aufstellung zufrieden. Sie hatte nichts vergessen. Dann stand sie auf, holte sich von ihrem Schreibtisch einen gelben Textmarker und markierte Punkt drei. Donnerstag nacht hatte sie die Vision von Mike mit nacktem Oberkörper, umringt von Pflanzen, gehabt. Sie hatte sich in dem Moment gewundert, dass sie sich an etwas zu erinnern schien, das sich gar nicht ereignet hatte, nur um die Sache gleich darauf in eine Wunschvorstellung umzudeuten.
Diese „Wunschvorstellung” war dann am nächsten Tag in Mikes Loft bis ins letzte Detail Realität geworden. Da es keine Erklärung dafür gab, hatte sie es unter Zufall verbucht. Nun allerdings war sie sich fast sicher, dass es sich um etwas anderes handelte. Sie konnte es zwar kaum glauben, aber …
Langsam streckte sie die Hand aus und markierte die Nummer zwei. Die blonde Frau, die sie in ihrer Vision gesehen hatte, war Marta Duchesne. Daran gab es keinen Zweifel. Alles passte: das Gesicht, die Stimme, das Haar. Da sie eine Freundin von ihr war, wäre das nicht weiter verwunderlich gewesen. Nina hätte sich sagen können, dass sie sich eben an sie erinnerte. Aber die Sache hatte einen Haken. Die Vision konnte keine Erinnerung gewesen sein, da sich die Situation, an die sie sich am Donnerstagnachmittag „erinnert” hatte, vor ein paar Minuten erst ereignet hatte. Martas Pirouette, ihre Worte, der Nerzmantel, den sie sich erst vor ein paar Tagen in Genf gekauft hatte, alles war genauso wie in ihrer Vision.
Und dafür gab es nur eine einzige Erklärung: Ihre „Erinnerungsblitze” waren keine Erinnerungen, sondern sie konnte in die Zukunft sehen.
Nina erschauerte. Die Sache war ihr unheimlich. Sie stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo sie ruhelos hin und her lief und sich einen Reim auf die ganze Angelegenheit zu machen versuchte. Aber sie kam zu keinem Ergebnis, so dass sie sich schließlich,
Weitere Kostenlose Bücher