Der Cop und die Lady
er schließlich: „Dann warst du es also, der sie angerufen hat?”
Irons stieß einen schweren, ungeduldigen Seufzer aus. „Meine Güte, natürlich wer denn sonst? So, und jetzt wäre es mir ganz lieb, wenn du damit aufhören würdest, wir sind nämlich gleich da.”
Ninas Schläfen pochten. Sie fühlte sich noch immer verwirrt, und in ihren Ohren war ein Rauschen, das sich fast anhörte wie weit entferntes Stimmengewirr.
Während sie zuschaute, wie dicke Regentropfen auf der Scheibe zerplatzten, begann plötzlich alles vor ihren Augen zu verschwimmen, und es wurde um sie herum dunkler, als befände sie sich in einem erleuchteten Zimmer, in dem jemand den Dimmer langsam herunterdreht. Sie versuchte ihren Blick wieder scharf zu stellen, doch es gelang ihr nicht. War es wirklich so neblig, oder bildete sie sich das bloß ein? Ziellos schweiften ihre Gedanken umher, einhergehend mit Erinnerungen an die vergangenen Tage. Sie hörte Martas Stimme: Vergiss nicht, deinen hübschen grünen Regenmantel einzupacken. In Kolumbien hat die Regenzeit schon eingesetzt.
Plötzlich wunderte sich Nina, woher Marta ihren grünen Mantel kannte. Sie hatte ihn sich doch erst an dem Tag, als sie angeschossen wurde, gekauft, und da war Marta mit Julien in der Schweiz gewesen. Und sie wusste ganz ge nau, dass sie ihn in der vergangenen Woche nicht angehabt hatte. Und erwähnt hatte sie ihn auch nicht.
In Ninas Hirn verlagerte sich etwas. Sie konnte es fast klicken hören, wie eine Türklinke, die heruntergedrückt wurde.
Und dann war ihre Erinnerung wieder da.
Die Gefahr, in der sie schwebte, ihre Schmerzen und selbst Mike waren für einen Augenblick angesichts der ungeheuren Freude und Erleichterung, die sie jetzt überfiel, vergessen. Zwei Wochen lang war sie bei Dunkelheit in einem fremden Haus herumgestolpert. Jetzt endlich war sie wieder daheim, und alles war hell erleuchtet. Sie ließ ihr vergangenes Leben vor ihrem geistigen Auge Revue passieren, erinnerte sich daran, wie sie zusammen mit ihrem Vater als kleines Mädchen den Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center bestaunt hatte, wie Charley ihr das Autofahren beigebracht hatte oder wie sie ihre Mutter beim Begräbnis ihres Vaters zu trösten versucht hatte.
Und jetzt plötzlich fiel ihr auch wieder ein, warum sie Charley den Smaragd geschickt hatte. Sie hatte ihn in Julien Duchesnes Büro gefunden.
An einem Nachmittag vor zwei Wochen war sie in sein Zimmer gegangen, um sich eine Speziallupe zu holen …
Sie öffnete die Schreibtischschublade und stieß nach längerem Herumkramen auf den Smaragd. Ohne groß nachzudenken nahm sie ihn heraus und betrachtete ihn. Er war riesig. Dem rohen Schliff nach zu urteilen stammte er aus Kolumbien und war selbst in diesem grob geschliffenen Zustand gut und gern mehrere hunderttausend Dollar wert.
Ihre Gedanken rasten. Sie wusste, dass es das vernünftigste wäre, den Edelstein einfach wieder zurückzulegen und so zu tun, als wüsste sie von nichts. Schließlich war es allein Juliens Angelegenheit und ging sie nichts an. Aber die Sache kam ihr komisch vor. Irgend etwas stimmte hier nicht. Für die Firma war der Stein nicht angekauft worden, das wüsste sie, und dann läge er nicht hier in Juliens Schreibtisch, sondern im Safe. Und Julien hatte im Moment nicht das Geld für solche Käufe, es war bei Z & D ein offenes Geheimnis, dass er zur Zeit bis zum Hals in finanziellen Schwierigkeiten steckte, und seine Laune war dementsprechend. Er tyrannisierte die gesamte Belegschaft und war unerträglich.
Auf ihrer letzten gemeinsamen Geschäftsreise war er für Stunden verschwunden, noch nervöser als sonst. Nina hatte ihn im Verdacht, Kokain zu schnupfen, und nahm sich vor, mit Armand darüber zu reden.
Doch Juliens Problem waren nicht Drogen. Der Smaragd brannte in ihrer Hand.
Alles deutete in eine Richtung: Er hatte den Edelstein geschmuggelt. Und es war wahrscheinlich nicht der erste und einzige. Julien fungierte als Kurier für Schmuggelware, die dann später auf dem Schwarzmarkt verkauft werden sollte.
Das erklärte auch sein etwas merkwürdiges Verhalten auf dem Flughafen, über das sie sich gewundert hatte.
Nina wusste nicht, was sie tun sollte. Armand ins Vertrauen ziehen? Und wenn er nun ebenfalls keine reine Weste hatte? Vor diesem Gedanken schreckte sie zurück, denn sie mochte die Zakroffs sehr. Sie überlegte hin und her und beschloss schließlich, den Stein mit nach Hause zu nehmen, bis sie eine Lösung gefunden hätte.
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