Der Coup von Marseille
Stilbruch begehen, dann aber auch gleich richtig«, murmelte Elena mit sichtlicher Zufriedenheit.
Sie verließen das Café und bahnten sich einen Weg durch die langsam dahindriftende Menge, bis sie zu der Terrasse mit der blauen Markise und den Blumenkübeln kamen, an die sich Sam noch von seinem ersten Besuch in Marseille erinnerte. »Das ist das Chez Nino«, klärte er Elena auf. »Der Fisch ist genauso sensationell wie die Aussicht auf den Hafen. Die Weine stammen von den Hügeln ringsum. Du wirst begeistert sein.«
Er täuschte sich nicht. Für jemanden wie Elena, deren übliches Mittagessen aus Hüttenkäse und Salat bestand, in aller Eile am Schreibtisch verschlungen, war eine Mahlzeit im Chez Nino eine Offenbarung. Sie bestellten soupe de poissons, die köstliche provenzalische Fischsuppe, die mit ihrer traditionellen Begleiterin, der rouille auf den Tisch kam, einer sämigen, vor Knoblauch strotzenden Soße. Danach wurde ein perfekt gegrillter Drachenkopf aufgetragen. Dazu tranken sie eine Flasche Rosé aus der Domaine du Paternel.
Nachdem sie den Kaffee bestellt hatten, war es an der Zeit, sich zurückzulehnen und einen Blick in die Runde zu werfen. Das Restaurant war zum Bersten voll, und Elena staunte über die Lautstärke, mit der Gelächter und Gespräche von den umliegenden Tischen zu ihnen herüberschallten. »Diese Leute machen erheblich mehr Lärm als die Pariser«, stellte sie fest. »Vielleicht tun sie hier irgendetwas in die Suppe.«
Sie zog die erfreuliche Möglichkeit in Betracht, dass die Fischsuppe eine stimmungsaufhellende Substanz enthalten könnte, und malte sich aus, wie die Restaurantbesucher nach der Mittagspause euphorisch an die Arbeit zurückeilten. »Leider nicht«, erwiderte Sam. »Ich denke, es liegt an den Genen. Ein großer Teil der Provence gehörte früher zu Italien. Die Päpste residierten einst in Avignon. Die Bezeichnung Nizza weist eindeutig auf den italienischen Ursprung hin. Und wenn man einen Blick ins Telefonbuch wirft, findet man auf jeder Seite italienische Namen: Cipollina, Fachinetti, Onorato, Mastrangelo – davon gibt es Tausende, und sie tragen ihr Scherflein zu der ungezwungenen Atmosphäre bei, die hier unten herrscht. Das gehört zu den Dingen, die ich an der Provence liebe und die sie von Nordfrankreich unterscheidet.«
»Sam, allmählich verwandelst du dich in einen Baedeker auf zwei Beinen. Ich bin sehr beeindruckt. Und weißt du was? An die lokalen Sitten und Gebräuche würde ich mich schnell gewöhnen.«
»Auch an die Siesta? Da hast du Glück. Ich weiß zufällig, dass dieses Restaurant Zimmer vermietet.«
Elena schüttelte den Kopf. »Vergiss das lüsterne Grinsen. Der Gedanke an eine Mittagsruhe würde mir nicht im Traum einfallen. Wie jede gute Französin, die gerade ein ausgedehntes Mittagsmahl beendet hat, möchte ich nur wissen, wo wir das Abendessen einnehmen.«
»Philippe hat bereits alles arrangiert. Keine Angst. Er wird schon dafür sorgen, dass wir nicht verhungern. Bist du sicher, dass du dir die Räumlichkeiten nicht wenigstens anschauen möchtest?«
5. Kapitel
E in paar Minuten lang vernahm Sam Mozart-Klänge im Hintergrund, bevor sich Reboul meldete.
» Alors, Sam. Wie war Ihr Tag in Cassis?«
»Gut, Francis. Wir haben ihn in vollen Zügen genossen. Elena war begeistert.« Sam warf einen Blick auf die Notizen, die er sich auf der Rückseite von Ninos Rechnung gemacht hatte. »Ich würde gerne ein paar Punkte mit Ihnen durchsprechen, bevor wir wieder unterwegs sind. Wir haben uns mit einem Freund, Philippe Davin, zum Abendessen verabredet. Er ist Journalist, arbeitet für La Provence, und ich hoffe, dass er mir ein paar Hintergrundinformationen über Patrimonio und die ehrenwerten Mitglieder des Stadtplanungsausschusses liefern kann.«
»Ein Journalist?« Rebouls Stimme klang alles andere als begeistert. »Sam, sind Sie sicher …«
»Keine Sorge. Ich halte mich an das Drehbuch. Ihr Name wird mit keiner Silbe erwähnt. Und nun wüsste ich gerne – gibt es irgendetwas, wofür Sie sich besonders interessieren? Philippe ist ein Fuchs. Was er nicht weiß, bekommt er heraus, er hat einen erstklassigen Riecher.«
»Also gut, alles, was Sie über die beiden anderen Projekte und deren Drahtzieher herausfinden können, wäre hilfreich, aber bitte nicht den üblichen Blödsinn, mit dem Pressever lautbarungen gespickt sind, beispielsweise über Hobbys oder Spenden für wohltätige Zwecke. Ich wüsste gerne, woher das Geld stammt, das
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