Der Coup von Marseille
Aber genug davon – was hat euch beide hierherverschlagen? Flitterwochen?«
»Nicht ganz«, erwiderte Sam. Und während sie den Quatre Vents tranken, den Philippe ausgewählt hatte, wegen seiner rondeur und seines leichten Grünschimmers, wie er sagte, erstattete ihm Sam einen kurzen Bericht über seinen Auftrag: Von einem amerikanischen Architekten angeworben, von Schweizer Kapital gestützt und angetreten, um den Stadtplanungsausschuss zu überzeugen, dass eine dreigeschossige Wohnanlage Marseille besser zu Gesicht stand als eine Bettenburg mit vierzig Etagen.
Philippe hörte aufmerksam zu und nickte von Zeit zu Zeit. »Mir ist alles Mögliche zu Ohren gekommen, und ich habe versucht, Interviews mit euren Mitstreitern zu ergattern, doch im Moment geben sie sich sehr zurückhaltend.«
»Weißt du, wer sie sind? Hast du Informationen über sie?«
»Okay.« Philippe spähte im Raum umher, bevor er die Standardhaltung des investigativen Journalisten einnahm: Rumpf vornübergebeugt, um strikte Vertraulichkeit anzudeuten, Kopf eingezogen, die Stimme leise und um Unauffälligkeit bemüht. »Es sind noch zwei andere Konsortien im Spiel: ein englisches und ein französisches. Oder besser gesagt, eine Pariser Interessengemeinschaft. Der führende Kopf der Briten ist Lord Wapping, ein ehemaliger Buchmacher, der sich den Weg ins House of Lords mit üppigen finanziellen Zuwendungen an die beiden großen politischen Parteien geebnet hat.«
»An beide Parteien?«
»So ist es. Offenbar ist das in England zur Gewohnheit geworden. Das bezeichnet man als Win-win-Situation –, bei der alle Beteiligten gewinnen.« Philippe hielt inne, um einen Schluck Wein zu trinken. »Die Leitung des Pariser Projekts hat eine Frau übernommen, Caroline Dumas. Messerscharfer Verstand, politisch bestens vernetzt; war früher beigeordnete Ministerin, bis sie sich einem altgedienten Minister ein bisschen zu heftig beiordnete und die Ehefrau den beiden auf die Schliche kam. Jetzt arbeitet sie für Eiffel International, einen riesigen Mischkonzern – Bauwesen, Agrarindustrie, Elektronikbranche und als nette Zugabe eine Hotelkette. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass sie bei diesem Wettbewerb keine großen Chancen hat.«
»Warum?«
»Sie ist Pariserin.« Philippe zuckte die Achseln. Er hatte offenkundig das Gefühl, dass es in Marseille keiner weiteren Erklärung bedurfte.
Die Kellnerin, die geduldig neben dem Tisch gewartet hatte, nutzte die Gesprächspause, um die Aufmerksamkeit auf die Tapas an der Schiefertafel zu lenken.
An diesem Abend im Mai hatten sie die Wahl zwischen fünfzehn »Appetithäppchen«: Pata-negra- Schinken von spanischen Schweinen, die mit Eicheln gefüttert worden waren, Thunfischrogen mit Olivenöl besprüht, gebackene Auberginen mit Minze, Lachstatar mit Honig und Dill, frittierte Zucchiniblüten, Venusmuscheln, Artischocken, Seeteufel, Anchovis – eine breit gefächerte Palette der Köstlichkeiten, die Sam, Elena und Philippe jetzt Todesqualen bereitete, weil die drei sich nicht entscheiden konnten. Schließlich einigten sie sich auf je drei Tapas, gefolgt, auf Philippes Drängen hin, von der Spezialität des Hauses: Tintenfisch mit schwarzer Pasta.
Elena lehnte sich zurück, um wieder ihre Umgebung in Augenschein zu nehmen, wobei ihr Blick auf ein Fries mit einer überdimensionalen Handschrift knapp unterhalb der Decke fiel. Es bestand aus drei Worten – buvez riez chantez –, die sich fortwährend wiederholten und über sämtliche Wände des Raumes im ersten Stock erstreckten.
»Was bedeutet das?«, fragte sie. »Ist das eine Art französischer Tapas-Code, streng geheim?«
»Es bedeutet trinkt, lacht, singt«, erläuterte Philippe. »Eine Aufforderung, sich zu amüsieren.« Das laute Gelächter, das am Nebentisch aufbrandete, unterbrach seine Ausführungen. »Nicht dass es dazu einer Aufforderung bedürfte«, fügte er hinzu.
»Ich finde es seltsam, dass der Durchschnittsfranzose in dem Ruf steht …, nun, ein wenig ernst zu sein«, warf Sam ein. »Keiner, der dazu neigt, aus sich herauszugehen. Immer darauf bedacht, den Schein zu wahren.«
»Was ihr als ›trübe Tasse‹ bezeichnet?«
Sam grinste. »Das habe ich nie gesagt. Aber ich habe festgestellt, dass die meisten Franzosen, die ich kenne, sich gerne amüsieren. Ich erinnere mich an die Weinauktion in Beaune, bei der ich war, da konnte ich nicht mithalten. Trinken, lachen, singen? Sie haben in den drei Tagen nichts anderes getan, ohne Pause.
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