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Der Coup von Marseille

Der Coup von Marseille

Titel: Der Coup von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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Dennoch hat das Vorstellungsbild vom gestrengen Franzosen die Runde gemacht. Aber warum.«
    Philippe hob den Finger, ein sicheres Zeichen, dass des Rätsels Lösung folgte. »Das liegt daran, dass man uns in Schubladen steckt, um einen einzelnen Aspekt der Persönlichkeit herauszupicken und uns danach zu beurteilen. Natürlich gehen wir an bestimmte Dinge mit dem gebührenden Ernst heran – Geld, Essen und Rugby beispielweise. Aber wir sind Menschen voller Gegensätze. Auf der einen Seite können wir erstaunlich egoistisch sein: Die am meisten benutzten Worte im Französischen sind moi und je, normalerweise in einem Satz. Dennoch gehen wir höflich, ja sogar rücksichtsvoll miteinander um. Wir zeigen Respekt. Wir küssen oder schütteln einander die Hand zur Begrüßung, wir Männer stehen auf, wenn eine Frau an den Tisch kommt, und wir verlassen den Raum, wenn das Handy klingelt, um niemanden zu verärgern.« Er hielt inne, um sich einen ausgiebigen Schluck Wein zu genehmigen. »Wir trinken, und wie! Aber Betrunkene sieht man in der Öffentlichkeit kaum. Wir kleiden uns konservativ, und dennoch waren die französischen Frauen, die sich ›oben ohne‹ am Strand sonnten, Vorreiterinnen für ihre Geschlechtsgenossinnen in aller Welt. Es heißt, unsere nationalen Vorlieben wären Sex, Hypochondrie und der Bauch. Aber uns zeichnet mehr aus als das.« Er nickte, um seine Worte zu bekräftigen, und hielt die leere Weinflasche in die Höhe, als gerade eine Bedienung vorbeikam, um eine weitere zu bestellen.
    Elena hatte während des Intensivkurs über die psychische Befindlichkeit der Franzosen aufmerksam zugehört und wedelte nach typisch gallischer Manier, wie sie hoffte, mit dem Finger, um Einspruch zu erheben. »Händeschütteln, gut. Wan genküsse, auch gut. Höflichkeit, alles wunderbar. Bis deine Lands leute ins Auto steigen. Ich muss dir sagen, dass ich noch nie so viele gemeingefährliche Fahrer gesehen habe wie hier in Frankreich. Was für ein Problem haben die Leute?«
    Philippe zuckte lächelnd die Schultern. »Einige würden behaupten, die Lebensfreude, la joie de vivre, aber ich habe eine andere Theorie. Ich glaube, die Franzosen leiden an einer physi schen Behinderung: Sie haben nur zwei Hände, obwohl sie zum Autofahren drei bräuchten. Eine Hand ist mit Rauchen und Telefonieren beschäftigt; die andere muss frei bleiben, um Fahrer, die zu schnell, zu langsam, zu nahe oder Belgier sind, mit beleidigenden Gesten einzudecken.« Als er Elenas verdutzte Miene sah, fügte er hinzu: »Die Belgier fahren immer in der Straßenmitte. Das ist doch bekannt. Ah, da kommen die Tapas.«
    Die nächsten Minuten vergingen mehr oder weniger in zufriedenem Schweigen, während sie die neun kleinen Gerichte in Augenschein nahmen, die ihnen vorgesetzt wurden, ihren Duft inhalierten, probierten und bisweilen einen Bissen lilafarbene Artischocke gegen eine zarte, in spanischen Schinken gehüllte Venusmuschel eintauschten oder das mit Kräutern angereicherte Olivenöl mit Brot auftunkten. In vieler Hinsicht sind Tapas eine ideale Vorspeise: nicht zu schwer, mit einer Fülle von Aromen, die die Geschmacksknospen wachkitzeln, und in so übersichtlicher Menge serviert, dass sie den Appetit nicht verderben. Als der letzte Teller blank gewischt war, kehrte die Unterhaltung zum geschäftlichen Teil zurück.
    »Ich schätze, du weißt, dass es irgendwann gegen Ende der Woche eine Art Presseempfang plus Cocktailparty geben wird«, sagte Sam zu Philippe. »Gehst du dorthin? Wird Patrimonio auch dort sein?«
    Philippe verdrehte die Augen gen Decke. » Bof! Wer sollte versuchen, ihn davon abzuhalten? Das ist die Stunde, in der er sich in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit zeigen kann! Ich fürchte, der alte Schwätzer wird eine Rede halten. Ich werde anwesend sein müssen, um sie für die Nachwelt festzuhalten. Und ihr habt die Chance, einen Blick auf eure Konkurrenten und ihre famosen Ideen zu werfen.« Er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken. »Hotels, Hotels, Hotels. Nichts als Hotels oder Bürogebäude.«
    »Was hältst du von unserer Idee?
    »Natürlich kenne ich keine Einzelheiten. Aber ich hoffe trotzdem, dass euer Konzept gewinnt. Es ist menschlicher, zivilisierter.« Philippe starrte in sein Weinglas, seine Miene war nachdenklich. »Doch nach allem, was man so hört, ist Wapping daran gewöhnt, stets das zu bekommen, was er will, auf welche Weise auch immer. Kein Mann, der sich die Butter vom Brot nehmen lässt. Und ihr könnt

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