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Der Coup von Marseille

Der Coup von Marseille

Titel: Der Coup von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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die Sekretärin sprang bereits auf, während sie antwortete. Sie schnappte sich ein Notepad, entschuldigte sich bei Sam und entschwand im Allerheiligsten, um ihn wieder seinen Formularen zu überlassen. Nachdem er sie ausgefüllt hatte, warf er einen flüchtigen Blick auf den Inhalt der Mappe: ein Namensschild, ein übersichtliches Bündel Dokumente und eine handgravierte Einladung zu besagtem Empfang. Er überlegte gerade, ob er gehen oder bleiben sollte, als die Bürotür geöffnet wurde und die Vorstandssekretärin herauskam, den Ausschussvorsitzenden und sein Rasierwasser im Schlepptau.
    Patrimonio war ein Mann, der sein äußeres Erscheinungsbild ernst nahm. Sein Anzug war ein Gedicht aus federleich tem perlgrauem Kammgarn, maßgeschneidert in dem typisch italienischen Stil, der in den kostspieligen Taschen nur Raum für ein Seidentaschentuch lässt. Eine verschwenderische him melblaue Hemdmanschette lugte unter den Ärmeln seines Jacketts hervor, wobei eine große Panerai-Uhr über der linken Manschette prangte, nach dem Vorbild von Gianni Agnelli. Hochgewachsen und schlank, das Haar dunkel und mit Ausnahme der flügelähnlichen grauen Koteletten, die sein Gesicht einrahmten, streng zurückgekämmt, bot er das Bild eines Mannes, der Rang und Namen besaß. Sam hingegen kam sich in seinem karierten Hemd und den schlichten Baumwollhosen wie ein Pennäler vor.
    Patrimonio näherte sich ihm mit ausgestreckter Hand. » Enchanté, Monsieur Levitt, enchanté . Willkommen in Marseille. Nathalie sagte mir, dass Sie hier sind. Ich hoffe, sie hat sich gut um Sie gekümmert?«
    Bevor Sam die Chance hatte, Bruchstücke einer möglichen Antwort anzudeuten, begann eines von Patrimonios Hosenbeinen zu vibrieren. »Ah. Verzeihen Sie mir.« Er fischte sein papierdünnes Handy aus der Tasche und zog sich wieder in seine Privatgemächer zurück.
    »Nun, ich schätze, das ist das Ende unserer kleinen Unterredung«, meinte Sam.
    »Er ist ein vielbeschäftigter Mann.« Nathalie lächelte und nahm ein paar Unterlagen von ihrem Schreibtisch. »Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen wollen …«
    Außer mir scheint hier jeder alle Hände voll zu tun zu haben, dachte Sam. Er beschloss, die Zeit des Müßiggangs zu nutzen, indem er zum Hafen schlenderte, um in der Sonne zu sitzen und einen Kaffee zu trinken, während er einen Blick in die offiziellen Dokumente warf, die Nathalie ihm mitgegeben hatte.
    Er fand die Verkaufspräsentation der Fischverkäufer auf dem Quaie des Belges weit unterhaltsamer als die Doku mente in der Mappe, die durch den Amtsschimmel eines Ausschusses gelitten hatten: Seite für Seite war mit einer endlosen Abfolge hohler Floskeln gespickt. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte Marseilles folgte eine marktschreierische Werbung anlässlich der Wahl der Stadt zur Kul turhauptstadt des Jahres 2013 (aufgrund der damit verbundenen Veranstaltungen wurden mehr als zehn Millionen Besucher erwartet), wiederum gefolgt von einer mit schwerer Hand verfassten Beschreibung der Anse des Pêcheurs, einem hochtechnischen Bericht über das Verfahren, mit dem die drei Finalisten ausgewählt worden waren, und der Zusicherung – obligatorisch in der heutigen grünen Zeit –, dass die Erschlie ßung keinerlei Umweltschäden verursachen werde. Das Ganze mutete an wie eine Mustervorlage für einen bürokratischen Fachjargon, der sich selbst ungeheuer wichtig nahm, und Sam machte sich eine mentale Notiz, seine Präsentation ent sprechend zu gestalten. Jeder Anflug von Humor war verpönt. Ernsthaftigkeit lautete die Parole. Allein der Gedanke daran entlockte ihm ein Gähnen.
    Weniger als fünf Kilometer Luftlinie entfernt, aus der Per spektive einer fliegenden Möwe, beugten sich Lord Wapping und Ray Prendergast über einen Stapel Papiere in der Masterkabine Seiner Lordschaft. Sie hatten gerade Wappings Unternehmensbeteiligungen unter die Lupe genommen und die Bestandsaufnahme verlief alles andere als erfreulich.
    Das Problem war eine außerordentlich optimistische Fremd kapitalaufnahme in Verbindung mit einer Entwicklung, die Prendergast als »vertrackte Abschwünge in der globalen Wirt schaft« bezeichnete. Todsichere Investitionen waren den Bach heruntergegangen. Langfristige Anlagen hatten nicht zu den erhofften Höhenflügen angesetzt. Das unzufriedene Murren der Banken wurde zunehmend lauter, sie fürchteten um ihre riesigen Kredite, die sie Wapping gewährt hatten. Selbst das Kerngeschäft, die Buchmacherei, bekam die

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