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Der Coup von Marseille

Der Coup von Marseille

Titel: Der Coup von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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meinen Sie?«
    Patrimonio trank nachdenklich einen Schluck Whisky. »Sie sollten sich vor Augen halten, dass diese Leute ihren Lebensunterhalt damit verdienen, ständig zwischen den Fronten zu stehen. Wir müssen abwarten. Es dauert immer eine Weile, bis die Botschaft ankommt. Aber wir haben noch zehn Tage, bevor die endgültige Entscheidung fällt, und ich werde die Zeit nutzen, um meinen Einfluss geltend zu machen … Ein Mittagessen oder zwei, ein Glas Champagner nach Feierabend …« Patrimonio schwenkte großmütig die Hand, um die unwiderstehliche Vielfalt der Anreizmechanismen anzudeuten, über die ein Mann in seiner Position verfügte.
    Wapping schwieg. Er war damit beschäftigt, über seine eigenen lobbyistischen Aktivitäten nachzudenken.
    Ray Prendergast eilte die Rue de Rome entlang, bis er zu einem niedrigen weißen Gebäude gelangte, das sich in einiger Entfer nung zur Straße befand. Auf einem der Messingschilder neben dem Eingang, blanker poliert als alle anderen, war der Name von Dr. Romy Hoffmann in feiner Kupferstichschrift eingraviert. Prendergast betätigte die Klingel, und die Tür sprang auf.
    Dr. Hoffmanns Assistent, ein vierschrötiger Mann mit weißem Trainingsanzug und glänzendem kahlem Schädel, führte Prendergast in ein leeres, ganz in Weiß gehaltenes Wartezimmer, wo ältere Ausgaben des Stern -Magazins den niedrigen Tisch mit Paris Match und Gala teilten. Das Fernsehgerät in einer Ecke des Raumes zeigte einen Werbefilm, von einem Pharmakonzern gedreht, in dem zwei Frauen in eine angeregte Unterhaltung über die Wechseljahre vertieft waren.
    Prendergast warf einen Blick auf seine Uhr. Er hatte den Fehler begangen, etwas übervorsichtig frühzeitig aufzubrechen, und dabei ganz vergessen, dass Pünktlichkeit seit jeher der Feind der Ärzteschaft ist. Nun wartete er geschlagene zwanzig Minuten, bevor ihn eine metallische Stimme aus dem Lautsprecher in der Ecke aufforderte, das Allerheiligste zu betreten.
    Dr. Hoffmann, eine kleine, drahtige Frau in den Vierzigern, trug einen Kittel und eine Hose aus weißer Baumwolle; an ihrem Hals baumelte eine chirurgische Gesichtsmaske. Ihre dunklen Haare waren kurz geschnitten, die Augen hinter getönten Brillengläsern verborgen. Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. »Bitte sehr. Nehmen Sie Platz. Monsieur Patrimonio hat mir Ihren Besuch bereits angekündigt. Sagen Sie mir, was Sie hierherführt.«
    Ray Prendergast holte tief Luft und begann.
    Für Brian und Dave war dies die letzte Chance, den Vertrau ensverlust wettzumachen, das hatte Lord Wapping ihnen unmissverständlich klargemacht. Ihr Zusammentreffen mit dem Journalisten war im Großen und Ganzen erfolgreich ver laufen, aber eben nicht erfolgreich genug, um ihn daran zu hindern, sich nach dem Unfall zu einer gottverdammten Plage zu entwickeln. Und was die leidige Angelegenheit mit dem Zelt am Strand anging – je weniger Worte man darüber verlor, desto besser. Sie hatten, wie ihr Arbeitgeber es zu formulieren beliebte, die Sache ›total verbockt‹. Von Hunden ins nächtliche Mittelmeer abgedrängt worden zu sein, war zweifelsohne ein Schandfleck in ihrer bis dahin makellosen Vita als Männer fürs Grobe.
    Dieses Mal durften sie sich keinen Fehler leisten. Doch wie sie nach der Einsatzbesprechung mit Prendergast einhellig erklärt hatten, war dieser neue Auftrag ganz nach ihrem Geschmack: ein wenig Detektivarbeit, ein wenig Observieren, und am Ende nur ein Hauch von Gewalt. Kein Problem. Sie mieteten einen unauffälligen Peugeot, kauften eine Straßenkarte von Marseille und machten sich eines Morgens auf den Weg in die Chemin du Roucas Blanc, wo sie in sicherer Entfernung vom schmiedeeisernen Eingangstor parkten.
    Die Stunden verstrichen mit schmerzhafter Langsamkeit. Leute kamen und gingen, aber nicht die Leute, die sie interessierten. Im Peugeot wurde es unerträglich heiß, obwohl er im Schatten eines Baumes stand. Dave wäre um ein Haar in Polizeigewahrsam gelandet, als ein Bewohner ihn dabei beobachtete, wie er an einer Gartenmauer einem dringenden natürlichen Bedürfnis nachkam.
    Sie lernten schnell, die Personen zu erkennen, die regel mäßig ein- und ausgingen: das Hausmädchen Nanou auf ihrer Mobylette, die Haushälterin Claudine in ihrem Fiat 500, der Chauffeur Olivier in der großen schwarzen Limousine – manchmal mit Fahrgästen, manchmal ohne. Aber kein einziges Mal sahen sie die einsame Gestalt, die sie zu sehen hofften. Ermüdende Stunden wurden zu ermüdenden

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