Der Coup von Marseille
Tagen; die einzige Abwechslung bestand darin, Olivier zu beschatten, wenn er von Zeit zu Zeit mit dem Wagen losfuhr, um Besorgungen in der Stadt zu machen.
An einem sonnigen Nachmittag wurde ihre Geduld schließ lich durch die Ankunft eines Taxis belohnt, das Dave aus dem Mittagsschlaf riss, als es hupend am Eingang vorfuhr.
»Es ist leer«, sagte Brian. »Holt anscheinend jemanden hier ab.«
Dave richtete den Feldstecher auf das hundert Meter ent fernte Tor und sah, wie das Taxi mit einem einzelnen weiblichen Fahrgast auf dem Rücksitz erschien, auf die Straße einbog und davonbrauste. »Genau. Dann mal los.«
Sie folgten dem Taxi in sicherer Entfernung den gewundenen Chemin du Roucas Blanc hinab und schlossen die Lücke, als sie das Stadtzentrum erreichten und der Verkehr dichter wurde. Sie fuhren am Vieux Port vorbei, durch eine enge Seitenstraße und kamen in der Rue Paradis heraus. Das Taxi hielt vor einer getönten Glasfassade und Brian und Dave beziehungsweise Dave und Brian sahen, wie Elena Morales ausstieg und in einem Eingang mit der Aufschrift Studio Céline Coiffure verschwand.
»Sieht so aus, als würde sie sich die Haare machen lassen«, sagte Dave. »Wäre gut, wenn man hier irgendwo parken könnte.«
Durch dauerhafte Streitigkeiten über die Frage, in welcher Richtung man suchen sollte, gelang es Brian erst nach geschlagenen zehn Minuten, den Peugeot in eine Parklücke gegenüber dem Frisörsalon zu zwängen, womit er eine Schimpfkanonade und ohrenbetäubendes Hupen unter jenen frustrierten Autofahrern auslöste, die hinter ihm im Stau standen. Ein junger Mann in einer Rostlaube von Renault streckte die Hand zum klassischen Autofahrergruß aus, den Mittelfinger erhoben. »Keine verdammten Manieren, diese Franzosen.«
»Wir bleiben ja nicht mehr lange«, erwiderte Dave. »Hast du deine Spritze?«
Brian nickte. »Und hast du auch deine?« Durch ihre jüngsten Misserfolge beunruhigt, setzten sie jetzt auf doppelte Mann- beziehungsweise Fraudeckung.
Sie warteten noch ein paar Minuten, dann stiegen sie aus, überquerten die Straßen und gaben sich den Anschein, als hätten sie etwas Faszinierendes im Schaufenster eines Herrenausstatters entdeckt, zwei Türen vom Studio Céline entfernt. In Wahrheit verwirrte sie die dort ausgestellte lässig elegante Freizeitkleidungen nur.
Als Elena in das grelle Licht der Straße hinaustrat und ihre Sonnenbrille aufsetzte, steuerte Brian, einen Stadtplan in der Hand, zielstrebig auf sie zu. »Entschulden Sie, Miss. Sprechen Sie Englisch?«, fragte er höflich.
»Selbstverständlich.«
»Könnten Sie mir eventuell weiterhelfen? Ich fürchte, ich habe mich total verlaufen. Ich müsste dorthin.« Er stellte sich neben sie, faltete den Stadtplan aus und hielt ihn hoch, damit sie einen Blick darauf werfen konnte. Elena wirkte etwas verwirrt und unschlüssig. Tatsächlich hatte sie die Entschlossenheit, mit der der Fremde auf sie zugesteuert war, merkwürdig gefunden. Sein maskenhaftes Gesicht verstärkte ihr Misstrauen. »Ich habe leider wenig Zeit …«, begann sie. In diesem Moment trat Dave hinter sie und rammte ihr die Nadel seiner Spritze in den Bizeps des nackten Arms. Sie wollte aufschreien, aber die Wirkung des Gifts trat unverzüglich ein. Ihr Kopf sackte auf die Brust, die Knie gaben nach. Sie mussten beide zupacken, um zu verhindern, dass sie umfiel, und sie fast auf die andere Straßenseite tragen, bevor sie auf dem Rücksitz des Peugeot verstaut werden konnte. Einige Passanten starrten mit offenem Mund auf die Szenerie. Dave machte eine beschwichtigende Bewegung mit einer Hand. In Marseille würde man nie auf die Idee kommen, sich in solchen Situationen einzumischen.
Brian grinste, als er den Motor anließ. »Läuft doch prima, oder?«
»Ja«, sagte Dave. »Aber mach schnell. Ich habe den Eindruck, der alte Mann da drüben will sich unser Nummernschild einprägen.« Diese Warnung inspirierte Brian zu einem furiosen Kavaliersstart.
Sam warf einen Blick auf seine Uhr. Halb sieben, eine Zeit, in der die Mägen in ganz Marseille zu knurren begannen. Elena und er waren mit Mimi und Philippe zum Abendessen verabredet. Wo blieb sie nur? Wie lange konnte ein Frisörbesuch dauern? Oder war ein Einkaufsbummel die Ursache dafür, dass sie jedes Zeitgefühl verloren hatte?
Er rief auf ihrem Handy an, doch niemand ging ran. Er versuchte es zwanzig Minuten danach erneut und ein drittes Mal zehn Minuten später. Immer noch nichts. Um halb acht war er ausreichend
Weitere Kostenlose Bücher