Der Courier des Czar
rührte sich vom Platze. Man hätte sagen mögen, daß die halberstickte Natur nicht mehr athmete, und ihre Lungen, d.h. jene düsteren, dichten Wolken, aus irgend welchem Grunde gelähmt, nicht mehr functioniren konnten. Das schweigen wäre ein absolutes gewesen ohne das Knirschen der Räder des Tarantaß, die die Kiesel der Straße zerrieben, ohne das Seufzen der Naben und überhaupt des Holzwerkes am Gefährte, ohne den keuchenden Athem des Gespanns und das Aufschlagen ihrer Hufe auf die Steine, die dabei lebhafte hinken sprühten.
Uebrigens war die Straße vollkommen öde. Der Tarantaß begegnete weder einem Fußgänger, noch einem Reiter oder einem Wagen bei dieser drohenden Nacht in den engen Schluchten des Urals. Kein Feuer eines Köhlers rauchte im Walde, keine Lagerstätte von Arbeitern eines Steinbruchs ward sichtbar, keine einzige im Gehölz verlorene Hütte. Es bedurfte solcher Gründe, welche kein Zweifeln und kein Zaudern erlauben um eine Fahrt durch die Gebirgskette unter den gegebenen Verhältnissen zu unternehmen. Michael Strogoff hatte nicht gezaudert. Ihm war das wohl unmöglich, aber – und das fing doch an ihm eine sonderbare Besorgniß einzuflößen, – wer in aller Welt konnten die beiden Reisenden in dem seinem Tarantaß vorausgehenden Teleg sein; welch’ gewichtige Gründe hatten sie, eben so tollkühn zu handeln?
Eine Zeit lang versank Michael Strogoff in tiefes Sinnen. Gegen elf Uhr begannen die Blitze den Himmel zu erleuchten und setzten dann nicht mehr aus. Bei ihrem schnellen Scheine sah man die Silhouetten mächtiger Kiefern auftauchen und verschwinden, die an verschiedenen Stellen die Straße gruppenweise flankirten. Näherte sich der Tarantaß dem Rande der Straße, dann beleuchteten die brennenden Wolken tiefe Abgründe neben jener. Von Zeit zu Zeit verrieth ein heftigeres Rollen und Stoßen, daß der Wagen eine Brücke aus Baumstämmen passirte, welche kaum zugehauen eine Höhlung des Weges überdeckten. Je höher sie hinauf kamen, desto mehr ertönte ein monotones Brausen in der Luft. Dazu mischten sich die aufmunternden Rufe des Jemschik, der bald Schmeichelworte, bald Schmähreden an seine Thiere verschwendete, welche mehr durch die Schwere der Atmosphäre als durch den Weg selbst ermattet schienen. Auch die Schellen des Deichselbogens vermochten sie nicht mehr aufzumuntern, und manchmal knickten sie fast zusammen.
»Wann werden wir auf dem Gipfel des Kammes anlangen? fragte Michael Strogoff den Jemschik.
– Um ein Uhr Früh … wenn wir überhaupt hinkommen! antwortete dieser mit ungläubigem Kopfschütteln.
– Sag’ doch, Freund, das ist doch nicht Dein erstes Gewitter hier in den Bergen, nicht wahr?
– Nein, und gebe Gott, daß es auch nicht mein letztes ist.
– Hast Du Furcht?.
– Ich habe keine Furcht, aber ich wiederhole, daß Du unrecht handeltest, abzufahren.
– Ich hätte noch mehr unrecht gehandelt, wenn ich blieb.
– Na, dann vorwärts, meine Täubchen!« erwiderte der Jemschik, als ein Mann, der nicht da war zu discutiren, sondern zu gehorchen.
In diesem Augenblicke ließ sich ein entferntes Geräusch vernehmen; es glich einem tausendfachen gellenden und betäubenden Pfeifen in der bisher doch halb ruhigen Atmosphäre. Bei dem blendenden Scheine eines Blitzes, dem ein entsetzlicher Donnerschlag folgte, bemerkte Michael Strogoff einige große Kiefern, die auf einem kahlen Gipfel schwankten. Der Sturm brach los, jagte aber bis jetzt nur die höheren Luftschichten durcheinander. Ein trockenes Geknatter ließ erkennen, daß einige alte oder schlecht bewurzelte Bäume schon dem ersten Anprall der Windsbraut nicht hatten Widerstand leisten können. Eine Lawine gebrochener Stämme rollte bald über die Straße, schlug hüpfend auf die Felsenvorsprünge und verlor sich, zweihundert Schritte vor dem Tarantaß, in den Tiefen zur Linken.
Stutzend hielten die Pferde still.
»Immer vorwärts, meine Turteltäubchen!« rief der Jemschik, und munter hallte seine Peitsche zwischen dem Rollen des Donners.
Michael Strogoff ergriff Nadia’s Hand.
»Schläfst Du, Schwester? fragte er.
– Nein, Bruder.
– Sei bereit für Alles. Jetzt kommt das Unwetter!
– Ich bin bereit.«
Michael Strogoff hatte kaum Zeit, die Ledervorhänge zu schließen.
Wild tobte der Sturmwind heran.
Der Jemschik war mit einem Sprunge von seinem Sitze herab und eilte, die Pferde am Kopfe zu halten, denn dem ganzen Gespann drohte eine schreckliche gefahr.
Unbeweglich stand der
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