Der Courier des Czar
blieb, jagte ihnen nach.
Die muthige Nadia verlor den Kopf aber nicht. Das Thier mochte sie zuerst nicht bemerkt haben, denn es stürzte sich auf das dritte Pferd. Nadia schlüpfte aus der Höhlung, welche sie verbarg, lief nach dem Wagen, ergriff einen von Michael Strogoff’s Revolvern, ging kaltblütig auf den Bären los und feuerte auf ihn aus unmittelbarer Nähe.
Leicht an der Schulter verwundet, hatte sich das Thier gegen das junge Mädchen gewendet, die ihm auszuweichen suchte und um den Tarantaß lief, dessen einzig übrig gebliebenes Pferd sich ebenfalls loszureißen suchte. Verirrten sich diese Pferde aber alle in dem Gebirge, so war die ganze Weiterfahrt zunächst in Frage gestellt. Nadia war also dem Bären wieder entgegen getreten und gab mit bewunderungswürdig ruhigem Blute, gerade als jener die gewaltigen Tatzen erhob, um auf sie niederzuschlagen, zum zweiten Male Feuer.
Das war jener zweite Schuß, welcher ganz in der Nähe Michael Strogoff’s aufblitzte. Mit einem Satze warf sich dieser zwischen den Bären und das junge Mädchen. Sein Arm machte nur eine Bewegung von unten nach oben, und das gewaltige Thier fiel, aufgeschlitzt vom Bauch bis zur Gurgel, eine leblose Masse, vor ihm zusammen.
Es war ein hübsches Pröbchen jener Methode der sibirischen Jäger, die stets darauf achten, das kostbare und von ihnen hoch im Preise gehaltene Fell eines Bären nicht zu beschädigen.
»Du bist nicht verletzt, Schwester? war Michael Strogoff’s erste Frage, als er sich zu dem jungen Mädchen wandte.
– Nein, Bruder«, antwortete Nadia.
Gerade jetzt kamen auch die beiden Journalisten zur Stelle.
Alcide Jolivet sprang nach dem Kopfe des Pferdes, und er mußte wohl eine kräftige Faust haben, denn es gelang ihm, jenes zu bändigen. Sein Begleiter und er hatten den kurzen Kampf Michael Strogoff’s mit angesehen.
»Zum Teufel! platzte Alcide Jolivet heraus, für einen einfachen Kaufmann, Herr Korpanoff, wissen Sie mit dem Jagdmesser doch recht leidlich umzugehen.
»Du bist nicht verletzt, Schwester? …« (S. 127.)
– Sogar sehr geschickt, fügte Harry Blount hinzu.
– In Sibirien, meine Herren, antwortete Michael Strogoff, sind wir genöthigt, uns um Alles ein wenig zu bekümmern.«
Alcide Jolivet betrachtete den jungen Mann.
Der gutmüthige Russe ging seinen Passagieren lächelnd entgegen. (S. 131.)
Wie er so in voller Beleuchtung dastand, das blutige Waidmesser fest in der Hand, den einen Fuß auf dem Körper des erlegten Bären, sah Michael Strogoff bei seinem hohen Wuchse und dem entschlossenen Blicke wirklich schön aus.
»Ein famoser Kerl!« sagte Alcide Jolivet für sich.
Dann trat er respectvoll, den Hut in der Hand, vor und begrüßte das junge Mädchen.
Nadia verneigte sich leicht.
Alcide Jolivet kehrte sich darauf nach seinem Begleiter um und sagte:
»Die Schwester ist des Bruders werth! Wenn ich ein Bär wäre, ich riebe mich nicht an diesem ebenso achtunggebietenden als liebenswürdigen Pärchen!«
Harry Blount stand, gerade wie eine Hopfenstange, mit abgezogenem Hute in einiger Entfernung. Die zwanglose Höflichkeit seines Collegen vermehrte nur seine natürliche Steifheit.
Jetzt erschien auch der Jemschik wieder, dem es gelungen war, seine beiden Pferde wieder einzufangen. Er warf zuerst einen bedauernden Blick auf das prächtige, am Boden liegende Thier, das hier als Beute für die Raubvögel liegen bleiben sollte, und machte sich dann erst daran, das Geschirr wieder in Ordnung zu bringen.
Michael Strogoff setzte ihn von der Lage der beiden anderen Reisenden in Kenntniß und sagte, daß er diesen ein Pferd vom Tarantaß zur Verfügung stellen wolle.
»Ganz wie es Dir beliebt, entgegnete der Jemschik. Indeß, zwei Wagen statt des einen …
– Schon gut, Freundchen, fiel Alcide Jolivet, der dieses Zögern schnell genug verstand, ihm in’s Wort, Du wirst natürlich auch doppelte Bezahlung erhalten.
– Nun denn vorwärts, meine Turteltäubchen!« rief der Jemschik.
Nadia hatte den Tarantaß wieder bestiegen, während Michael Strogoff und seine Begleiter diesem zu Fuße nachfolgten.
Es mochte gegen drei Uhr sein. Der Sturm war nun im Abnehmen und jagte nicht mehr mit unwiderstehlicher Gewalt durch den Hohlweg, so daß man leidlich schnell vorwärts kam.
Mit dem ersten Schimmer des Morgenrothes hatte der Tarantaß das Telegrestchen erreicht, das gewissenhaft bis zur Mitte der Räder in den Schlamm eingesunken war. Man erkannte jetzt recht wohl, daß
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