Der Courier des Czar
ein heftiger Ruck der Bespannung die Trennung der beiden Wagentheile veranlaßt hatte.
Das eine der Seitenpferde des Tarantaß ward nun, so gut es eben anging, mit Stricken an den Sitzkasten des Teleg gespannt. Die beiden Journalisten nahmen auf der Bank ihres etwas sonderbaren Fahrzeugs Platz, und gleichzeitig setzten sich beide Wagen in Bewegung. Uebrigens hatte man ja nur die Bergabhänge des Ural hinunter zu fahren, was keine besondere Schwierigkeit bot.
Sechs Stunden später langten die beiden Fuhrwerke, eines dicht nach dem anderen in Jekaterinenburg an, ohne daß ein weiterer Unfall diesen zweiten Theil der Fahrt noch einmal unterbrochen hätte.
Das erste Individuum, das den Journalisten schon am Thore des Posthauses in die Augen fiel, war ihr eigener Jemschik, der sie mit der größten Gemüthsruhe zu erwarten schien.
Ohne alle Verlegenheit ging der gutmüthige Russe seinen Passagieren lächelnd entgegen und streckte die Hand hin, um sein Trinkgeld einzuheimsen.
Die Wahrheit verlangt es nicht zu verschweigen, daß Harry Blount’s Zorn dabei mit voller britannischer Heftigkeit zum Ausbruch kam, und wäre der Jemschik nicht klüglich zurückgewichen, so hätte ihm ein nach allen Regeln der edlen Boxkunst geführter Faustschlag wohl sein »
na vodku
« mitten in’s Gesicht gezeichnet.
Als Alcide Jolivet diesen Zornesausbruch sah, wand er sich fast vor Lachen und jubelte auf, wie er vielleicht früher noch nie gelacht hatte.
»Er hat ja ganz Recht, der arme Teufel da! rief er. Er ist in seinem vollen Rechte, lieber College! Das ist doch seine Schuld nicht, wenn wir keine Mittel fanden, ihm zu folgen!«
Er zog einige Kopeken aus der Tasche.
»Da, Freundchen, sagte er, indem er sie dem Jemschik hinreichte, da, steck’ sie ein. Wenn Du sie nicht verdient hast, war’s ja Deine Schuld nicht!«
Das verdoppelte aber nur noch die Aufregung Harry Blount’s, der sich an dem Postmeister schadlos halten und ihm einen Prozeß an den Hals werfen wollte.
»Einen Prozeß! Und in Rußland! rief Alcide Jolivet; aber unter den obwaltenden Verhältnissen, bester College, wären Sie nicht im Stande, dessen Ende abzusehen. Da ist Ihnen die herrliche Geschichte von jener russischen Amme wohl nicht bekannt, welche der Familie ihres Säuglings gegenüber klagbar wurde, daß sie jenen weiter nähren wollte?
– Ich kenne sie nicht, entgegnete Harry Blount.
– Dann wissen Sie auch nicht, was aus jenem Säugling geworden war, als das Gericht das Endurtheil zu seinen Gunsten fällte?
– Und was, wenn ich bitten darf?
– Ja, mein Gott, ein Oberst der Gardehusaren war aus ihm geworden!«
Alle brachen in helles Gelächter aus.
Alcide Jolivet holte in dieser lustigen Stimmung sein Notizbuch hervor und bereicherte es, um einst in einem moskowitischen Wörterbuche zu figuriren, durch folgende Bemerkung:
»Teleg, ein in Rußland gebräuchlicher Wagen, wenn er abfährt mit vier, – wenn er ankommt mit zwei Rädern!«
Zwölftes Capitel.
Eine Herausforderung.
Jekaterinenburg ist seiner geographischen Lage nach eine Stadt Asiens, denn es erhebt sich jenseit des Ural, auf den letzten Ausläufern der östlichen Berglehne. Trotzdem gehört es zu dem Gouvernement von Perm und bildet also einen Theil des ausgedehnten Gebietes des europäischen Rußlands. Dieser administrative Uebergriff muß wohl seinen Grund haben. Er betrifft ein Stück Sibirien, das zwischen den Kinnbacken Rußlands verblieb.
Weder Michael Strogoff noch die beiden Berichterstatter konnten in einer so großen, schon im Jahre 1723 gegründeten Stadt um die Beschaffung der nöthigen weiteren Reisegelegenheit in Verlegenheit kommen.
In Jekaterinenburg befindet sich die erste und bedeutendste Münzstätte des ganzen Reiches; dort domicitirt auch die kaiserliche Generaldirection der Erzbergwerke. Die Stadt bildet also einen wichtigen industriellen Mittelpunkt in einem Lande, wo Erzhütten, Gold-und Platinwäschereien fast im Ueberfluß vorhanden sind.
Zu jener Zeit hatte die Bevölkerung Jekaterinenburgs sich ganz ausnahmsweise stark vermehrt. Von dem feindlichen Einfall bedrohte Russen und Sibirier strömten dort zusammen nach ihrer Flucht aus den von Feofar-Khans Horden schon überflutheten Provinzen und vorzüglich aus dem Lande der Kirghisen, das sich im Südwesten des Irtysch bis zu den Grenzen von Turkestan ausdehnt.
Fehlten also die Beförderungsmittel sehr, um nach Jekaterinenburg zu gelangen, so waren sie dagegen im Ueberfluß vorhanden, um diese Stadt
Weitere Kostenlose Bücher