Der Cowboy
aussahen.
Wie es wohl sein mochte, jemanden so gut zu kennen? Plötzlich verspürte sie das Bedürfnis, diese Seite der Liebe kennenzulernen. Entgegen aller Vernunft hatte sie das Gefühl, in Quinn den Mann gefunden zu haben, mit dem das möglich war. Quinn, den sie seit nicht einmal einer Woche kannte. Quinn, der übermorgen wieder abreisen würde. Übermorgen, das war das genaue Gegenteil von den Jahrzehnten, die sie mit ihm durchleben wollte, um herauszufinden, wie die Beziehung zwischen Emmy Lou und Fred funktionierte. Wie man es schaffte, Liebe und Respekt auch dann zu verspüren, wenn man sich gerade stritt.
Liebe. Oh Gott! Hatte sie das gerade wirklich gedacht? Jo warf Quinn einen schnellen Blick zu, weil sie fürchtete, dass ihr ihre Gedanken ins Gesicht geschrieben standen. Sie kannte ihn doch gar nicht gut genug! Sie kannte weder seine Familie noch seine Freunde, sie wusste rein gar nichts über ihn!
Andererseits hatte sie ja auch gar nicht gedacht, dass sie ihn
liebte
, sondern nur, dass sie ihn lieben
könnte
. Unter anderen Umständen, in einem anderen Leben, in dem sie viel Zeit hatten. Liebe war ein gefährliches Thema. Sie hatte gedacht, dass sie Dick liebte, und sich schwer getäuscht.
Sie musste sich zusammenreißen. Quinn war der falsche, um sich zu verlieben. Außer, sie war bereit, die Ranch aufzugeben und Emmy Lous, Freds und Bennys Leben zu zerstören.
“Wer will Nachtisch?”, unterbrach Emmy Lou ihre Gedanken.
Quinn klopfte sich auf seinen durchtrainierten Bauch. “Keine Chance.”
“Was gibt es denn?”, fragte Benny.
“Frischen Kirschauflauf.”
“Ich nehme eine Portion”, prahlte Fred und schob sich die letzte Gabel Schmorbraten in den Mund. “Und zwar mit Eiscreme.”
Emmy Lou schüttelte den Kopf. “Frederick, ich hoffe, du hast spannende Lektüre, denn du wirst heute Nacht kein Auge zubekommen.”
“Ach was, ich werde schlafen wie ein Baby.”
“Babys wachen ständig auf”, erwiderte Emmy Lou trocken.
“Ich habe Schlaftabletten dabei”, bot Quinn an. “Schlaf ist wichtig. Sehr wichtig!”
Fred starrte ihn durchdringend an. “Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass Sie mich unbedingt ruhigstellen wollen?”
Quinn wurde rot. “Mir liegt Ihre Gesundheit eben am Herzen, Fred”, stotterte er.
Fred nickte, aber in seinen Augen blitzte die Erkenntnis auf. “Hab ich mir schon gedacht.”
8. KAPITEL
Nach dem Essen entschuldigte Jo sich und ging in ihr Büro, um die Rechnungen durchzusehen und zu entscheiden, welche Zahlungen sie noch auf die lange Bank schieben konnte. Sie hatte das Buchhaltungs- und Ablagesystem ihrer Tante nie richtig verstanden, also hatte sie sich ein eigenes ausgedacht, in dem einer Schuhschachtel eine zentrale Rolle zukam. Ihr war klar, dass ihre Lösung alles andere als optimal war. Sie hätte sich für einen Buchhaltungskurs anmelden sollen, aber dafür war es jetzt eindeutig zu spät.
Jedes Mal, wenn sie sich um die Rechnungen kümmerte, bekam sie Magenschmerzen. Nach einer Stunde wilder Berechnungen kam sie zu demselben Ergebnis wie immer: Sie brauchte Geld, und zwar schnell. Gerade hatte eine ihrer besten Stuten ein vielversprechendes Fohlen auf die Welt gebracht. Sie würde Clarise und Schwerenöter verkaufen müssen.
Sie schrieb ihren Entschluss auf ein Blatt Papier, um ihn unumkehrbar aussehen zu lassen. Ihre Tierärztin Sherry würde morgen vorbeikommen. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie angedeutet, dass sie einen Käufer für Clarise finden würde, wenn die Stute gefohlt hatte. Sherry wusste über Jos finanzielle Lage genau Bescheid – in der Vergangenheit hatte sie mehr als eine Rechnung unter den Tisch fallen lassen.
Clarise und Schwerenöter zu behalten wäre eigensüchtig und in finanzieller Hinsicht einfach nicht zu verantworten. Jo wusste, dass sie sich so ein Verhalten im Augenblick nicht leisten konnte, egal wie sehr sie an der Stute und dem kleinen Fohlen hing.
Nachdem sie ihren Entschluss gefasst hatte, stand sie von ihrem Schreibtisch auf und tigerte in dem kleinen Büro auf und ab. Es fiel ihr schwer, sich damit abzufinden, dass sie eine ihrer Lieblingsstuten verlieren würde. Ihre Tante Josephine hatte stets versucht, ihr klarzumachen, dass sie ihre Gefühle nicht auf die Tiere übertragen solle, aber selbst die beherrschte Josephine hatte nur schweren Herzens ein Pferd verkaufen können, selbst wenn die Tiere alt, störrisch oder nicht zu bändigen waren.
Es klopfte zaghaft an die Bürotür. Jo atmete
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