Der Dämon aus dem grünen See
ihre Freundinnen schwärmten, hatten einen rötlichen Schimmer. Dieselbe Färbung, die auch die Augen von dem Wesen in ihren Albtraum-Visionen am See so unheimlich gemacht hatte.
David hatte ihr diese Scheinbilder gezeigt, um sie vor dem Ding in ihm zu warnen. Doch in Davids blauen Augen hatte sie diesen rötlichen Glanz nie gesehen. Er hatte gegen das Wesen gekämpft und sich, so gut es ging, gegen seinen Einfluss behauptet.
Ganz im Gegensatz zu Marc. Der hatte den Schluck verseuchtes Wasser offenbar nicht abgestoßen oder sich gegen das Wesen gewehrt. Er hatte es willkommen geheißen.
„Aber du bist doch mein Bruder“, flüsterte sie entsetzt.
„Stiefbruder“, korrigierte er kalt. „Auf diese Unterscheidung legst du doch immer so großen Wert, nicht wahr? Am Anfang habe ich mich darüber gefreut – weil ich dachte, du wärst in mich verliebt und würdest das so betonen, damit die Leute nicht auf komische Gedanken kommen. Aber dann hast du angefangen, mit anderen Jungs rumzumachen, und hast mich nur noch wie Luft behandelt. Hat es dir Spaß gemacht, mich leiden zu sehen? Hast du dich mit deinen Typen drüber amüsiert, was für ein Idiot ich doch bin?“
„Marc …“, stammelte sie.
„Ach, jetzt kannst du meinen Namen plötzlich so nett sagen, ja? Nachdem du mich jahrelang ignoriert, gedemütigt und verhöhnt hast … Na, egal, ich verzeih dir noch mal. Komm mit.“
Er packte sie am Arm und zog sie vom Hocker hoch.
Tom sprang auf. „Lass sie los!“
Auch Linda war aufgestanden. „Komm, Marc, lass es gut sein. Das bringt doch nichts.“
Obwohl es so aussah, als hielte Marc sie nur leicht fest, schmerzte Cassies Arm, als stecke er in einem Schraubstock.
David hat sich gegen die Kräfte des Wesens immer gewehrt, schoss es ihr durch den Kopf. Marc dagegen nutzt sie aus. Er kann alles Mögliche anrichten.
„Ach, wisst ihr“, sagte sie so leichthin wie möglich. „Vielleicht gehe ich wirklich einfach mal mit ihm vor die Tür.“
„Nein!“, riefen Tom und Linda gleichzeitig.
„Er hat von dem Wasser getrunken“, murmelte sie in die Richtung der beiden. Sie hoffte, Marc würde es nicht hören.
Doch offenbar schärfte das Wesen auch seine Sinne.
„Ganz recht, meine Schöne“, sagte er schneidend. „Und ich muss sagen, es war das beste Wasser, das ich je getrunken habe. Mein neuer ‚Partner‘ hat mir versichert, dass du mich unwiderstehlich finden wirst, wenn ich mich an das halte, was er vorschlägt. Es hat schon einmal geklappt, stimmt’s? Also komm, meine Schöne, lass uns tun, was wir schon längst hätten tun sollen.“
Er hob die freie Hand und strich Cassie über die Wange. Unwillkürlich neigte sie ihm den Kopf entgegen, bevor sie angeekelt zurückzuckte. Etwas in ihr reagierte auf ihn, wollte ihm nahe sein, eins mit ihm werden.
„O mein Gott, das ist er “, flüsterte sie entsetzt. „ Er macht das mit mir.“
Marc legte die Hand unter ihr Kinn und zog ihr Gesicht dicht an seins heran. „Und wie du weißt, kannst du dich nicht dagegen wehren. Also versuch es erst gar nicht.“
Es war Marcs Stimme und doch nicht seine. Etwas, das eine unglaubliche Anziehungskraft auf sie ausübte, schwang darin mit. Etwas, das sie in seinen Bann zog, sie willenlos machte. Sie wollte nur noch, dass sich ihre Lippen endlich berührten, dass er sie an sich zog, mit ihr verschmolz …
Tom drängte sich zwischen sie und Marc und legte ihr den Arm um die Schulter. Beinah hätte sie versucht, sich loszumachen, um Marc wieder näher zu kommen, so stark war der Sog, der von ihm ausging.
Hör auf damit, sagte sie sich. Du kannst dagegen angehen! Zumindest teilweise. David hatte sich jahrelang erfolgreich gegen dieses Wesen gewehrt, und sie musste das auch tun. Es durfte keine Gewalt über sie bekommen, ganz egal, was es sie kostete.
Sie schmiegte sich an Tom und löste sich aus Marcs Griff.
„Geh weg“, stieß sie hervor, obwohl alles in ihr sich danach sehnte, ihn wieder zu berühren. „Es ist vorbei.“
„Vorbei ist es, wenn ich das sage“, gab Marc ungerührt zurück. „Schau dich doch an. Du zitterst vor Verlangen nach mir. Gib doch zu, dass du mich willst.“
„Nein!“, rief sie, obwohl er recht hatte. Es kostete sie ungeheure Anstrengung, ihm fernzubleiben.
„Cassie. Cassie!“ Linda hielt ihr das klingelnde Handy hin. „Soll ich rangehen?“
Stumm schüttelte Cassie den Kopf und nahm den Anruf an.
Es war Eric. „Wir sind jetzt am Theater. Beeil dich, ich hab echt Schiss.
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