Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
noch Einiges des Supermarktproviants in ihren großen Trecking-Rucksäcken. So kredenzten sie den staunenden Rattenfressern zum Beispiel Schokoriegel, rohe Hamburger, Dosencola und Kartoffelchips. So etwas hatten die Kanalbewohner noch nie gesehen, geschweige denn gegessen. Gierig stürzten sie sich auf die Lebensmittel, die Ben und seine Freunde aus ihrem wohlsortierten Angebot abgegeben hatten. Und es schmeckte ihnen. Es wurde geschmatzt - auch bei der mitgefutterten Verpackung - gefurzt und gerülpst, bis alles verdrückt war. Das schmeckte nach mehr.
„Und?“ wollte Ben wissen. „Seid ihr immer noch scharf auf unser zähes Fleisch?“
„Bah! Wer jemals so was Gutes gefressen hat, wie deinen Proviant, der will nichts anderes mehr. Aber das war nicht genug. Wir wollen mehr davon. Wo kriegen wir so was her?“
„Aus dem Supermarkt.“
„Was ist ein Supermarkt?“
„Ihr kennt keinen Supermarkt? Wart ihr denn noch nie an der Oberfläche des Zentrums?“
„Was für eine Oberfläche?“
„Glaubt ihr denn, dies hier wäre die einzige Welt, die es gibt?“
„Ja!“
„Da oben, außerhalb der Kanalisation existiert noch eine grenzenlose helle, und meistens wunderschöne Welt. Ohne Ratten, ohne Gestank, ohne Hunger und Finsternis. Und genau da gibt es auch so leckere Sachen zu kaufen, wie die, die ihr eben gegessen habt.“
„Langsam erinnere ich mich wieder.“ Der Oberrattenfresser machte - so gut er es halt konnte - ein nachdenkliches Gesicht. „Meine Mutter hat mir mal was in der Richtung erzählt, bevor sie von den Ratten gefressen worden ist. Sie hat gesagt, mein Großvater, der inzwischen auch von den Ratten gefressen wurde, hätte in einer Welt gelebt, wie die, von der du gerade erzählt hast. Ein Paradies. Im Vergleich zu dem Loch hier unten. Wir haben das immer für ein Märchen gehalten. Aber jetzt, wo du die Geschichte bestätigt hast ... Aber wir können nicht hinauf.“
„Warum nicht?“
„Mein Opa war ein Schwerverbrecher, hat Mutti gesagt. Die Polizei war ihm auf den Fersen. Also ist er mit seiner Familie hinunter in die Kanalisation geflüchtet, so sagt es die Überlieferung. Dort oben wartete der Henker auf ihn. Also blieben sie für immer hier. Und was daraus geworden ist, das seht ihr vor euch. Ein paar von Inzucht und Rattenfresserei gezeichnete Monsterkreaturen.“
„Ich kann euch beruhigen!“, wusste Nessy wahrheitsgemäß zu berichten. „Es gibt noch etliche von euch da oben. Millionen von Monstern. Einige sogar noch hässlicher als ihr. Und das will schon was heißen. Und eine Polizei gibt es da schon lange nicht mehr.“
„Du meinst, wir können zurück ins Paradies?“
„Aber sicher!“
Für einen Augenblick schien eine einzelne Träne der Freude im gelben Auge des Anführers zu schimmern, aber dann verdunkelte sich seine Monstermiene wieder.
„Es geht trotzdem nicht!“
„Aber warum denn bloß nicht? Es wird euch gefallen!“
„Das glaube ich nicht. Wir sind hier geboren. Kennen nur die Dunkelheit. Wir würden in dem grellen Licht umkommen. Damit kommen unsere Augen nicht klar.“
Das rattenfressende Monster hatte gewiss Recht, aber es musste doch irgendeinen Weg geben, dachte sich Ben. Wieder kehrten seine Gedanken zurück zu seinem Rucksack. Er holte etwas Dunkles daraus hervor.
„Eine Sonnenbrille! Setz sie auf!“
Misstrauisch setzte sich der Tuberkulate nach Anweisung des Menschen das Ding auf die Nase. Und obwohl er keine Ohren aufzuweisen hatte, zumindest keine sichtbaren, bekam er die Brille irgendwie zum Halten. Dann schien Ben ihm mit seiner Taschenlampe direkt ins Gesicht und wartete ab. Die Reaktion des Tuberkulaten fiel genauso aus, wie von ihm erhofft.
„ES BLENDET NICHT! ES BLENDET NICHT! Wahnsinn, Freunde. Ich kann in das Licht sehen, ohne Schmerzen zu verspüren!“
Er reichte das dunkle Schieleisen weiter an seine Artgenossen. Jede der Kreaturen probierte die Sonnenbrille aus und wurde von den Menschen angeleuchtet. Begeisterung machte sich breit. Sie lachten laut und schrecklich, klopften sich gegenseitig auf die nicht vorhandenen Schultern und tanzen fast vor Freude.
„Wir können ans Licht, wir können ans Licht!“, jubelten sie.
Nur der Anführer hatte noch einen leisen Zweifel. „Aber ihr habt nur eine Brille. Und wir sind viele. Was sollen wir bloß tun?“
Ben wusste auch diese Sorge zu beseitigen.
„Einer von euch geht mit der Sonnenbrille hinauf in die helle Welt und holt auch für die anderen den Augenschutz.
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