Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
spürte sie, als sie ihrem ungleichen Gegner in die schwarzen Augen blickte. Der hatte alsbald genug von diesem langweiligem Spiel mit seiner jämmerlichen Beute und sprang auf das zitternde Mädchen zu. Lisas einziger Gedanke galt dem brennenden Scheit von der Länge ihres Armes in der rechten Hand. Als sie das Tier auf sich zufliegen sah, ein braunes Gewirr aus Flecken, Streifen, Muskeln und Zähnen, umfasste sie die Fackel mit beiden Händen und rammte sie dem Tier in das weit geöffnete Maul. Sie hatte nicht schlecht gezielt, denn sie traf mit all ihrer Kraft den Gaumen des Tieres und lies den Knüppel im gleichen Moment los. Sie rollte sich zur Seite ab und landete wieder auf ihrer Decke. Dort lag sie mit geschlossenen Augen und erwartete den Tod, als das Ungeheuer das hungrige Maul zuklappen ließ. Doch sowohl der Schmerz wie auch der Tod blieben aus. Lisa hörte nur ein beinahe Mitleid erregendes Gejaule in ihrer unmittelbaren Nähe. Sie öffnete die Augen und wollte ihnen nicht trauen: Der immer noch brennende Holzscheit hatte sich auf groteske Weise im Maul des Untiers verkeilt und machte keinerlei Anstalten zu zerbrechen. Das obere Ende der Fackel brannte sich offensichtlich schmerzhaft ins Fleisch von Hyaenodons Schnauze, so dass es beinahe aussah, als sei er ein Drache, dem heißer Qualm aus dem Maul steigt. Laut jaulend und mit wildem Blick in den weit aufgerissenen Augen rannte er in den Wald zurück und hinterließ eine Spur aus Rauch und den Geruch von verbranntem Fleisch in der kühlen Luft des herannahenden Morgens. Wenn Lisa Glück hatte, würde nun bald auch in dieser Welt das Hyaenodon ausgestorben sein.
Das Mädchen blieb noch eine Weile zitternd auf ihrer Decke hocken und wusste nicht, ob sie nun weinen oder lachen sollte. Sie entschied sich schließlich für beides zugleich. Lisa weinte vor Angst und Erleichterung und lachte über das Bild des davon rennenden rauchenden Raubtieres.
„Das war eine interessante Vorstellung, Menschenkind. Machst du das jede Nacht?“
Lisa erhob sich erneut in einem Satz aus ihrer hockenden Stellung und griff nach einem weiteren brennenden Holzscheit. War das Ungetüm etwa zurückgekehrt? Doch sie bezweifelte, dass es sprechen konnte. Erst recht nicht mit einem flammenden Stück Holz im Maul.
„Wer ist da?“, fragte sie laut in den Wald rechts des Weges hinein.
„Na, ich“, antwortete die Stimme. Gleich darauf betrat dicht neben Lisa eine kleine braune Gestalt den Pfad.
„Gestatten, mein Name ist Potato“, sagte die Gestalt, die nur halb so groß war wie das Mädchen.
Rasch wich Lisa einen Schritt zurück und befand sich nun mitten auf dem Weg.
„Freut mich“, stammelte sie. „Ich heiße Lisa. Was bist du?“
„Ich bin ein Kobold. Ein Kartoffelkobold, um genau zu sein. Sieht man das nicht?“
Tatsächlich sah das Wesen mit der krächzenden Stimme so ziemlich wie eine Kartoffel aus. Jedes seiner Körperteile ähnelte aufgrund der fleckig-braunen Farbe und der knollenhaften Form einer Kartoffel. Der Kopf zu Beispiel, den das Wesen in weniger als einem Meter Höhe trug, sah aus wie eine runde Knolle mit einem Schlitz als Mund und zwei schwarzen Knöpfen als Augen, soweit Lisa es im Schein der Fackel erkennen konnte.
„Du hast mich erschreckt“, sagte sie nur.
„Kann passieren, Menschenkind. Aber wer hätte gedacht, dass du einen Kobold fürchtest, wo du doch Hyaenodon in die Flucht getrieben hast?“
„Hyaenodon?“
„Ja, so heißt die Bestie, die du in Brand gesteckt hast.“
„Du hast den Kampf beobachtet? Warum hast du mir nicht geholfen?“
„Warum hätte ich das tun sollen, häh? Hätte Hyaenodon gewonnen, wäre er nun satt und würde mich erst einmal in Frieden lassen. Da du Siegerin geblieben bist, habe ich nun auch mindestens eine Weile lang Ruhe vor ihm. Ich konnte also nur gewinnen.“
„Na, vielen Dank auch.“
„Gern geschehen. Was hast du jetzt vor, Retterin des Waldes?“
„Nenn mich nicht so, Potato. Ich werde nach Norden aufbrechen, sobald es hell wird.“
„Wo willst du hin? Zum Meer etwa?“
„Das geht dich nichts an.“ Lisa wusste nicht, ob sie den kleinen Kerl leiden konnte.
„Wenn du nach Norden willst, solltest du den Pfad verlassen und auf meiner Seite des Waldes wandern. Im Schutz der Bäume wärst du sicher. Der Handelsweg ist viel zu gefährlich.“
„Ich bleibe auf dem Pfad. Der Wald ist mir nicht geheuer.“
„Was findest du bloß an diesem Weg, Menschenkind? Der hat Hyaenodon auch nicht
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