Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
schließlich zu verspeisen. Junge Mädchen standen nach den Aussagen der Hexe ganz oben auf dem Speiseplan der Kartoffelkobolde. Lisa erfuhr nun auch, warum sie die Hütte Renatas verpasst hatte: Offensichtlich war sie zwar an der richtigen Stelle des Handelspfades in den Wald abgebogen, war aber auf ihrem weiteren Weg nach und nach ein paar Meter zu weit in nördliche Richtung geraten und hatte so die Behausung der Hexe zwischen Bäumen und Dickicht nicht sehen können. Ihr selbst sei das auch schon hin und wieder passiert, behauptete Renata und zwinkerte ihrer jungen Besucherin verschwörerisch zu. Die Beiden unterhielten sich eine Zeit lang über den alten Haam, das Leben in der Siedlung und die Tragödie in den Höhlen der Blauen Berge. Über diesen Umweg näherten sie sich dem eigentlichen Grund für Lisas Reise gen Norden.
„Dein Großvater hat die Prophezeiung richtig gedeutet. Er tat gut daran, dich zu mir zu schicken.“
„Naja, ich selbst hatte und habe da immer noch so meine Zweifel. Warum sollte ich die Einzige sein, die dem Bösen Einhalt gebieten kann? Ich bin weder stark noch klug genug.“
„Oh, du bist nicht die Einzige. Du bist lediglich ein Teil des Ganzen. Andere Leute werden da sein, die dir helfen. Und du kannst ihnen wiederum helfen. Gemeinsam könnt ihr es schaffen, das Unheil von uns allen abzuwenden. Davon abgesehen, bist du weit klüger und stärker, als du glaubst, Kindchen. Lass dir von niemandem, auch nicht von dir selbst, etwas anderes einreden.“
„Nicht die Einzige? Aber es ist doch keiner mit mir gegangen. Wer soll das sein?“
„Das wirst du noch herausfinden, Lisa. Doch nicht hier, sondern erst am Ende des Weges.“
„Was meinst du damit? Ich verstehe nicht.“
Renata musste weit ausholen, um Lisa erklären zu können, welche Rollen der Hexe und dem Mädchen vom Schicksal zugedacht waren im Kampf gegen das Böse. Dazu schickte sie ihre Gedanken eintausend Jahre in der Zeit zurück. Sie selbst sei damals noch eine junge Frau gewesen, die im Gebrauch von Magie und
Kräutern bewandert war, so wie ihre Mutter und auch deren Mutter zuvor. Die Magie liege der Familie im Blut, sagte die alte Frau. Schon zu jener Zeit lebte sie im Wald und führte ein einsames aber zufriedenes Leben. Sie hatte ihre Freunde, die Tiere des Waldes, und von Zeit zu Zeit kamen auch Menschen aus dem Norden und von der fernen Küste des Binnenmeeres zu ihr, um Kräutertee, Liebestränke oder Ratschläge von ihr zu erhalten. Dafür bezahlte man sie mit Goldstücken, Kleidung oder Lebensmitteln. Dingen also, die sie sich selbst im Wald nicht hätte beschaffen können. Doch vor ziemlich genau tausend Jahren hatte sie einen besonders seltsamen Besucher empfangen: Einen kahlköpfigen Mann mittleren Alters in einem Priestergewand. Er hatte ihr seinen Namen nicht genannt, sondern sich nur als der letzte Priester der Bunten Berge vorgestellt. Er fragte weder nach einer Kräutermischung noch nach einem Zaubertrank, sondern bat sie nur um einen Gefallen. Zum Dank sei ihr dafür ein langes Leben vergönnt. Sie willigte schließlich ein, denn die Bitte des Priesters erschien ihr überaus wichtig und das Angebot eines langen Lebens hätte doch wohl niemand abgelehnt.
„Was wollte er von dir?“, fragte das Mädchen neugierig.
„Er bat mich, hier im Wald auf die Auserwählte zu warten und ihr den rechten Weg zu weisen. Egal, wie lange es dauern würde, irgendwann würde sie den Weg zu mir finden, wenn das Böse befreit worden wäre. Ich habe diesen Augenblick lange Zeit gefürchtet, denn einerseits geht nun das Böse um in unserer Welt, und andererseits ist meine Lebensspanne nun bald zu Ende. Meine Aufgabe ist schließlich erfüllt.“
„Aber dann bist du ja über tausend Jahre alt, Renata.“
„So ist es. Wie der Priester dies ermöglicht hat, ist mir immer noch ein Rätsel, das ich vermutlich nie lösen werde. Aber meine Furcht vor dem Ablauf meiner Frist hat sich im Laufe der Jahrhunderte in tiefe Dankbarkeit verwandelt für eine Gelegenheit, die sonst niemandem geboten wird: Ein langes Leben voller Harmonie mit der Natur und Wesen des Waldes. Außer dem Hyaenodon vielleicht. Das konnte ich nie leiden. Doch jeder einzelne Tag in diesen tausend Jahren war und ist wie ein unglaubliches Geschenk für mich. Ich möchte keinen von ihnen je missen.“
„Also hast du damals einen Handel mit dem Priester abgeschlossen?“
„So kann man es sagen. Ein langes Leben als Gegenleistung
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